Für viele im Westen und nahezu alle seine Landsleute reitet Wladimir Putin gerade auf einer Erfolgswelle. Die Krim heimgeholt, in der Ukraine nicht klein beigegeben, den Schulterschluss mit China vollzogen und den USA mehr als einmal den diplomatischen Mittelfinger gezeigt. Doch ist das wirklich eine Erfolgsgeschichte und was zaubert der starke Mann im Kreml als nächstes aus dem Hut?
Gar nichts, meinen zwei von SRF News befragte Experten unisono. Denn Putins Hut ist leer und der zur Schau gestellte Erfolg nichts weiter als Propaganda – so ihre Meinung. Wieso und weshalb, lesen Sie in den Zukunftsszenarien der russischen Aussenpolitik, welche die Politologen Andreas Umland und Jerzy Maćków für uns umrissen haben.
Putins künftige Strategie im Ukraine-Konflikt
Andreas Umland: Eine Beilegung des Ukraine-Konflikts ist auch künftig nicht im Interesse Russlands. Die Demokratisierung in Kiew soll scheitern – als Legitimationsgrundlage für das eigene undemokratische System und als Warnung an die Russen davor, was passiert, wenn man das System Putin in Frage stellt. Davon abhalten könnte ihn nur eine Verschärfung der Sanktionen. Das würde die russischen Kosten in unbezahlbare Höhen treiben.
Jerzy Maćków: Putin wird nicht danach streben, die Ukraine zu besetzen. Vielmehr wird er versuchen, mittels eines jahrelangen Krieges das Nachbarland zu schwächen und so den Anschluss an den Westen unmöglich zu machen. Gelingt das nicht, bleibt Russland nur der Rückzug aus den umkämpften Gebieten der Ost- und Südukraine. So oder so, muss Putin dafür Sorge tragen, dass er aus innenpolitischer Sicht als Sieger aus dem Ukraine-Konflikt hervorgeht. Gelingt ihm das nicht, würde ihm ein Machtverlust drohen.
Putins Umgang mit der Europäischen Union
Andreas Umland: Putins unmittelbares Interesse in Europa besteht darin, einen Keil zwischen die EU-Staaten zu treiben. Sein Ziel: Keine Verlängerung der derzeitigen Sanktionen im Sommer 2015. Dabei wird er versuchen, Staaten wie Ungarn, Griechenland und die Slowakei als Trojanische Pferde zu benutzen. Eventuell wird Putin aber sein besonderes Augenmerk auf Zypern richten – dem schwächsten Glied in der Kette der EU-Staaten.
Jerzy Maćków: Putin wird weiter versuchen die EU zu spalten. Eine einheitlich handelnde EU kann er derzeit nicht gebrauchen. Wenn die Ukraine-Krise allerdings eines Tages vorbei sein sollte, woran ich in absehbarer Zeit allerdings nicht glaube, wird Putin aber eher an einer starken EU interessiert sein. Er braucht sie als Gegenpol zur USA.
USA bleiben Gegner Nummer eins
Andreas Umland: Die USA werden auch weiterhin als russischer Erzfeind stilisiert – als Drohkulisse aufgebaut. Die Vereinigten Staaten sind weit weg und exotischer als die EU. Dass hinter jedem russischen Misserfolg die CIA steckt, wollen viele Russen nur allzu gern glauben. So gesehen kann dieses Kalkül aufgehen.
Jerzy Maćków: Die Vereinigten Staaten werden auch künftig in Russland als Gegner Nummer eins dargestellt. Darin drückt sich eine unglaubliche Doppelmoral der russischen Eliten aus. Sie lassen die Kinder in den USA studieren, ihre Familien da leben, bringen ihr Vermögen dort in Sicherheit. Zuhause aber werden die USA weiterhin als das Böse verkauft. Die Propagandamaschine diesbezüglich läuft auf Hochtouren und wird das wohl auch in Zukunft tun.
Chinesische Option keine Dauerlösung
Andreas Umland: Die vom Kreml aktuell ins Spiel gebrachte chinesische Karte wird nicht langfristig stechen. Peking braucht Moskau lediglich als Rohstofflieferanten und Absatzmarkt – allesamt Rollen, die den Russen auf Dauer kaum gefallen dürften. Schon jetzt drängt Peking Moskau in die Rolle eines eurasischen Juniorpartners, nutzt die neue geopolitische Isolierung Russlands gnadenlos aus. Bereits bei dem im letzten Sommer abgeschlossene Vertrag über eine Gaspipeline soll Russland gehörig über den Tisch gezogen worden sein.
Jerzy Maćków: «Wenn Putin nicht mit dem Westen kooperieren will, dann wird er zum Vasallen Chinas», behauptet Zbigniew Brzezinski, der aussenpolitische Berater vieler US-Präsidenten. Deshalb kann die aktuelle Ausrichtung gen Peking eigentlich nicht von Dauer sein. Eine solche Politik würde auf lange Sicht zum schrittweisen Souveränitätsverlust führen. Putin wird aber vorerst – aus aus seiner Sicht nachvollziehbaren Gründen – eine «Internationale der Autokraten» wichtiger sein als eine echte Kooperation mit dem demokratischen Westen.
Putins Zukunft
Andreas Umland: Wladimir Putin geht es in der Aussenpolitik nicht um eine Ideologie oder langfristige Vision, sondern nur um den persönlichen Machterhalt. Seit dem Verfall der Rohstoffpreise kann er das Land nicht mehr subventionieren und so die Bevölkerung ruhigstellen. Putin braucht deshalb eine neue Legitimationsbasis für sein undemokratisches System. Er wird versuchen, diese in gemeinsamen Feinden (USA/EU) und Grossmachtsfantasien zu finden. Ein Plan, der für eine gewisse Zeitspanne aufgehen könnte.
Jerzy Maćków: Der russische Präsident ist augenblicklich unersetzbar. Das wissen auch seine politischen Gegner in Russland. Ein plötzlicher Abgang würde das Land ins Chaos stürzen. Abgesehen davon hat Putin auch keinerlei Absicht die Macht abzugeben. Denn ein Rücktritt ist für eine Person, die zur zentralen Figur eines verbrecherischen Regimes geworden ist, immer gefährlich – lebensgefährlich.