Die 48-jährige Asli Erdogan ist eine international angesehene Schriftstellerin. In den Jahren 2012 und 2013 arbeitete sie auf Einladung der Stadt Zürich während sechs Monaten als Gastautorin in der Limmatstadt. Damals wollte die bereits gesundheitlich angeschlagene Autorin etwas Abstand gewinnen vom immensen Druck, der in der Türkei von der AKP-Regierung auf Kulturschaffende, insbesondere Autorinnen und Journalisten, ausgeübt wird.
Nun hat Asli Erdogan in ihrer Zelle im Frauengefängnis in Istanbul einen 12-seitigen, handgeschriebenen Brief an SRF in Englisch verfasst. Sie ist seit dem 16. August 2016 in der Türkei in Haft.
#SRFglobal hatte Asli Erdogan zuvor mehrere schriftliche Fragen zukommen lassen. Über Umwege kamen die Antworten nach Zürich. Auf den ersten drei Seiten beschreibt Erdogan die Umstände ihrer Verhaftung in ihrer Wohnung in Istanbul und die vom Staatsanwalt vorgebrachten Anklagepunkte.
Ich wurde von einer Gruppe von 30 bis 40 Polizisten verhaftet. Ich war komplett entsetzt, als sie in meine Wohnung eindrangen und mit ihren Waffen auf mich zielten.
Brief aus dem Gefängnis
Offenbar wird ihr die Mitwirkung im Beirat der kurdischen Zeitung «Özgür Gündem» (Freie Agenda) zum Verhängnis. Aus ihrer Tätigkeit als Literaturberaterin konstruiert die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen «versuchter Zerstörung des türkischen Staates und Mitgliedschaft bei der PKK».
Auf den folgenden Seiten schreibt die fragile Autorin hauptsächlich über die Haftbedingungen. Etwa zu Beginn auf der Polizeiwache im Istanbuler Stadtteil Eserler: «Das schlimmste war, wenn wir auf die Toilette mussten: Wir durften nur, wenn die Polizistin gerade ‹in Laune› war. Eine der vier jungen Frauen schlitzte sich die Pulsadern auf, eine andere schrie 48 Stunden lang.»
Inzwischen befindet sich Erdogan in einer Gemeinschaftszelle im Frauengefängnis Bakirköy mit 21 anderen Frauen. Besuche sind nur ihrer 72-jährigen Mutter sowie ihren Anwälten erlaubt.
In Deutschland, Polen, Frankreich und Österreich sind mittlerweile Initiativen zur Unterstützung der inhaftierten Schriftstellerin aufgebaut worden. Auch die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch ist mit einem Schreiben ans türkische Generalkonsulat gelangt, in dem sie um Aufklärung über die Gründe der Haft und den Gesundheitszustand von Asli Erdogan bittet.
Die Autorin ist sich sicher bezüglich der gegen sie erhobenen Anklage:
Ich bin im Gefängnis, weil ich über die Abscheulichkeiten geschrieben habe, welche die Türkei begangen hat – es ist meine Aufgabe über Abscheulichkeiten zu schreiben.
Die Gewaltentrennung – zwischen Justiz, Parlament und Regierung – ist in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch und der Aushängung des Ausnahmezustandes hinfällig.
Die Schriftstellerin befürchtet deshalb, dass über ihr Schicksal allein die Regierung entscheide und damit – der mit ihr nicht verwandte – Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Sie schliesst den Brief an SRF mit einem Wunsch für die Zeit nach ihrer Entlassung.
Das erste, was ich tun werde, wenn ich raus komme – falls ich je raus komme: Ich werde mir ein Tattoo stechen lassen, so wie die Häftlinge in Auschwitz. Meine Nummer ist 16816, der Tag, an dem die Polizei meine Wohnung stürmte.