SRF News: Seit fünf Tagen sind Sie als Helfer am Wiener Hauptbahnhof vor Ort – wie geht das mit Ihrer Arbeit zusammen?
Julian Pöschl: Gar nicht. Aber weil ich selbständig bin, kann ich selber über meine Arbeitszeit entscheiden. Nur zum Schlafen komme ich kaum. Am ersten Tag war ich 32 Stunden vor Ort, weil es einfach so viel zu tun gab.
Wie ist die Hilfsaktion überhaupt entstanden?
Am Montag fand in Wien eine Demonstration für Flüchtlinge statt. Am selben Abend kamen im Hauptbahnhof mehrere Flüchtlinge an. Da schlossen sich ein paar Demo-Teilnehmer zusammen und kauften ihnen Wasser. Als ich dazu stiess, merkte ich, dass es den Helfern an Koordination fehlte und beschloss, mich zu engagieren.
Immer wieder trudeln Spenden ein – die Hilfsbereitschaft der Bürger scheint enorm.
Ja, das ist sie tatsächlich. Was mich vor allem freut: Viele Leute, die bis vor kurzem zu den rechtspopulistischen Parolen der Politiker geschwiegen haben, packen jetzt mit an. Sie tun das auch mit Aktionen des zivilen Ungehorsams: Wenn Menschen etwa nach Ungarn fahren und Flüchtlinge mit ihren eigenen Autos nach Österreich bringen – ungeachtet der Konsequenzen, die ihnen drohen. Auch von uns plant eine Gruppe, am Sonntag nach Budapest zu fahren.
Eine schöne Erinnerung, die Ihnen aus diesen Tagen geblieben ist?
Am intensivsten bleibt mir ein Vorfall vom ersten Tag in Erinnerung. Damals hatten wir noch keine Kasse und teilten die Gelder, die wir als Spenden erhielten, unter den Freiwilligen auf. Doch als wir – eine Stunde vor Abfahrt des Zuges – die Billette für 30 Flüchtlinge kaufen wollten, bemerkte ich plötzlich, dass ich meine Geldbörse nicht mehr hatte. Meine Geldbörse mit 900 Euro an Spendengeldern! Ich wusste nicht mehr, ob ich sie verlegt hatte oder ob sie mir gestohlen worden war.
Also halfen alle mit, zu suchen, auch die Flüchtlinge. Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges Ende fanden wir die Geldbörse wieder – die Hälfte der Personen im Saal lachte, die andere Hälfte weinte. Ich hatte sie im ganzen Stress neben einen Berg von Spenden gelegt, wo sie dann halb darunter gerutscht war. Mitten im Wiener Hauptbahnhof lag während einer Stunde eine Geldbörse mit 900 Euro herum, und niemand hatte sie mitgenommen!
Wie fühlt sich das an, als Helfer tätig zu sein?
Es ist schwierig zu beschreiben; jede Sekunde kommt ein neues Gefühl dazu, so dass man das letzte gar nicht verarbeiten kann. So richtig werde ich das wohl erst begreifen, wenn alles vorbei ist. Oder wenn ein Flüchtling, der für 109 Euro sein Billett nach Mailand gelöst hat, mir den einen Euro Wechselgeld in die Hand drückt, mich umarmt, und seines Weges geht.
Wäre es nicht Aufgabe der Politik, Essen und Schlafplätze für die Flüchtlinge zu organisieren?
Doch, das wäre es. Aber die Regierung hat Angst vor Wählerverlusten und tut nichts. Die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner tut betroffen und schiebt die Verantwortung überall hin, nur nicht auf sich selber. Wir haben hier in vier Tagen mehr aufgebaut, als es die Regierung im Lager in Traiskirchen in drei Monaten geschafft hat. Hier muss niemand draussen schlafen.
Wie lange werden Sie noch präsent sein?
Das weiss ich im Moment nicht. Wir denken darüber nach, einen Verein zu gründen und das Ganze weiterzuführen. Aber eines Tages muss ich auch wieder arbeiten und Geld verdienen.