SRF: Peter Gysling, Sie sind auf der Krim – in Sewastopol, dort wo die russische Schwarzmeer-Flotte stationiert ist. Wie erleben Sie die Situation? Ist die russische Armee sichtbar?
Peter Gysling: Die russische Schwarzmeerflotte mit ihren über 10'000 Männern war und ist hier natürlich immer sichtbar und deshalb fallen zunächst mal auch die zusätzlich ins Land gebrachten Soldaten nicht auf den ersten Blick auf. Aber sie sind schon sichtbar. Beispielsweise, wenn sie eine ukrainische Kaserne hier umstellen.
Hat Moskau die Kontrolle über die Krim?
De facto kontrolliert die Ukraine die Halbinsel nicht mehr. Es ist aber nicht so, dass hier jetzt überall russische Panzer herumstehen. Es gibt nach wie vor ukrainische Armeeeinheiten, die zum ukrainischen Armeekommando stehen. Aber Strassenverbindungen, Flugplätze und viele staatliche Einrichtungen werden jetzt entweder von den Russen oder sogenannten pro-russischen Paramilitärs kontrolliert.
Man hört, dass ukrainische Soldaten auf der Krim scharenweise zu den Russen überlaufen. Wie erleben Sie das?
Das sind auch immer wieder viele Gerüchte, die sich nicht so einfach verifizieren lassen. Aber es stimmt, russische Einheiten haben heute zum Teil ukrainische Armee-Einrichtungen umstellt oder zumindest zu blockieren versucht.
Präsident Putin hat sich mit dem Säbelgerassel auf der Krim im Westen viele Feinde gemacht. Warum tut er das?
Der Westen hat ihm ja bisher immer verziehen und das hat Putin natürlich sehr wohl zu Kenntnis genommen. Mit Blick auf die Ukraine mit ihren 45 Millionen Einwohnern geht es Präsident Putin wohl darum, seinen Einfluss auf dieses für Russland nicht nur wirtschaftlich, sondern eben auch geopolitisch äusserst wichtige Land nicht zu verlieren. Es geht Putin wohl darum, die Ukraine und nicht nur die Krim-Halbinsel an Russland anzubinden. Dafür nimmt er natürlich auch gerne etwas Häme aus dem Westen entgegen.
Aber schadet sich Putin damit nicht mehr, wenn er vor der Welt nun als Bösewicht, als kalter Krieger dargestellt wird?
Ich denke, das ist ihm einfach egal.
Viele Menschen auf der Krim haben das Vokabular Moskaus angenommen und wollen mit den «Verbrechern in Kiew» nichts zu tun haben. Haben sich diese Äusserungen verstärkt oder war das schon immer ein belastetes Verhältnis?
Das Verhältnis gegenüber nationalistisch geprägten Ukrainern war schon immer belastet. Das war beispielsweise auch so bei der «Orangen Revolution». Jetzt aber sind hier viele Menschen nach meinem Dafürhalten Opfer der Propaganda des russischen Staatsfernsehens geworden. Dieses russische Fernsehen berichtet äusserst einseitig und parteiisch über die Vorgänge in Kiew.