Sie galt als hoffnungsvolle, aber uncharismatische Erbin Lulas, des einstigen charismatischen Staatsoberhaupts Brasiliens. Nun droht Dilma Rousseff ein bitterer Abschied von der Macht. Im Zuge des riesigen Korruptionsskandals im Land wird mit dem laufenden Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff ihr jähes politisches Ende erwartet. Ein Blick auf Rousseffs bewegte Karriere.
Ihr Werdegang
Die Tochter eines bulgarischen Einwanderers wuchs im Mittelstand von Belo Horizonte auf. Sie beschäftigte sich während ihrer Studienzeit mit sozialistischer und marxistischer Theorie. Ihr Vater war in Bulgarien Mitglied der kommunistischen Partei, bevor er auswanderte. Rousseff schloss sich in den 60er Jahren dem bewaffneten Widerstand gegen Brasiliens Militärdiktatur an. 1970 wurde sie verhaftet und sass für zwei Jahre im Gefängnis, wo sie gefoltert wurde. Immer wieder betont sie heute, dass sie stolz darauf sei, damals gegen die Diktatur gekämpft zu haben.
Nach der Haftentlassung 1972 startete sie ihre politische Karriere in der Lokal-Regierung von Porto Allegre. 2002 ernannte sie Lula im Zuge seiner Präsidentschafts-Wahl zur Energieministerin Brasiliens. Rousseff wurde 2005 Kabinettschefin, bevor sie 2010 erfolgreich selbst als Präsidentin kandidierte.
Ihr Ruf
Rousseff, die kühle, unbrasilianisch nüchterne Politikerin sei eine Pragmatikerin. Sie sei im Stande, Lulas Versprechen der Vergangenheit tatsächlich umzusetzen – so ihre Befürworter. Rousseff sei uncharismatisch, herrisch, technokratisch, aufbrausend und bloss eine Marionette ihres Ziehvaters Lula, meinen ihre Gegner, welche vor allem in der Mittel- und Oberschicht zu finden sind.
Rousseff, wie auch Lula zuvor, wird vorgeworfen, ihre politischen Haltungen für den Burgfrieden innerhalb der Koalitionsregierung oft verraten zu haben. Allzu oft habe sie und ihre Arbeiterpartei die Interessen der Industrie unterstützt. In ihrer Regierungszeit wurde etwa der Código Florestal reformiert, ein Gesetz zum Naturschutz, dessen Bestimmungen zugunsten von Agrarhandel und Grossgrundbesitzern aufgeweicht wurden.
Die Massenproteste gegen Korruption und Misswirtschaft im Jahr 2013 soll sich die ehemalige Guerilla-Kämpferin – und später selbst Teil der Korruptions-Skandale – zu Herzen genommen haben. Doch ihre Versuche für eine politische Reform scheiterten.
Ihr grösster Erfolg
Bis vor der Aufdeckung des Petrobras-Korruptionsskandals konnte Rousseff eine positive Bilanz ihrer politischen Karriere ziehen. Es ist ein Verdienst der seit 2003 regierenden Partei und ihr, Millionen Menschen mit Programmen wie der Familiensozialhilfe «Bolsa Familia» und Mindestlöhnen aus der Armut geholt zu haben. Das Land investiert mittlerweile Milliarden in Gesundheit und Bildung.
Strukturelle Probleme und der Absturz des Ölpreises liessen die Wirtschaftsleistung trotzdem drastisch sinken, auch der Konsum ist eingebrochen. Diese Punkte trüben ihre Bilanz.
Ihr Verhängnis
Ihr und der Arbeiterpartei wird am stärksten der gewaltige Korruptionsskandal im Land angelastet. Es geht um geschmierte Politiker bei mindestens 89 Auftragsvergaben des halbstaatlichen Petrobras-Konzerns – betroffen sind aber auch führende Oppositionspolitiker.
Rousseffs Dillema: Die heute 68-Jährige war 2003 bis 2010 Aufsichtsratschefin von Petrobras. Ein Senator und ehemaliger Weggefährte hat sie schwer belastet und ihr anhand von Ton-Mitschnitten vorgeworfen, die Ermittlungen behindern zu wollen.
Rousseff werden daneben unter anderem eine Verschleierung der Höhe des Haushaltsdefizits und eine unsaubere Finanzierung ihrer Wahlkampagne 2014 vorgeworfen.
Am Sonntag entscheiden die Parlamentsabgeordneten im Plenum, ob das Verfahren fortgeführt wird. Danach ist der Senat an der Reihe.