SRF News: Iran hat heute bekannt gegeben, dass die russische Nutzung seines Luftwaffenstützpunktes nach einer Woche wieder beendet ist. Wie erklären Sie sich das?
Markus Kaim: Wir können natürlich nicht in die Gespräche zwischen Moskau und Teheran hineinschauen. Meine Vermutung ist, dass es der iranischen Führung doch etwas unangenehm gewesen ist, sich so stark auf Seiten der russischen Regierung im Syrienkonflikt zu positionieren, weil eine andere Baustelle der iranischen Aus- und Sicherheitspolitik erheblich darunter leidet, nämlich die Implementierung der Nuklear-Vereinbarung vom vergangenen Jahr. Sie stockt erheblich. Viele Sanktionen sind noch nicht aufgehoben und vor diesem Hintergrund glaube ich, hat die iranische Regierung gezögert, den Westen und vor allem die USA in dieser Frage blosszustellen und ihre Waffenbrüderschaft mit Russland zu sehr zu betonen.
Auf iranischer Seite wollte man diese Kooperation diskret handhaben und ist jetzt entsprechend verstimmt. Warum hat Russland das denn so offensiv publik gemacht?
Die Gründe sind vielfältig. Es erlaubt zu allererst Russland, darauf zu verweisen, dass man international nicht isoliert ist. Das ist ein Vorwurf, der in westlichen Hauptstädten immer wieder erhoben wird. Und die enge Kooperation mit Teheran und anderen östlichen Akteuren erlaubt Moskau zu zeigen, dass es nicht so ist. Es erlaubt Moskau auch, sich als regionale Ordnungsmacht zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund ist die Herausbildung dieses neuen Bündnisses von russischer Seite her zu lesen.
Wie sieht denn dieses Bündnis für Russland aus?
Man muss wohl hinzufügen, dass Russland ein strategisches Vakuum füllt, das die USA hinterlassen haben. Eine Reihe von klassischen traditionellen Verbündeten der USA haben erhebliche Zweifel an der Fortdauer und der Tragfähigkeit der Beziehungen aufkommen lassen. Ich denke vor allem an Ägypten und an Saudi-Arabien. Das erklärt, dass sich diese Akteure zwar nicht vollständig Russland zuwenden, aber dass es doch eine vorsichtige Annäherung gibt. Und das letzte Beispiel ist ja die jüngste Aussöhnung zwischen der Türkei und Russland.
Warum sollte Russland attraktiv sein für diese Länder?
Regimestabilität ist eine Triebkraft russischer Politik, die man nicht unterschätzen darf.
Es gibt eine grosse Interessensdeckung einer Reihe von autoritären Regimes gerade im Nahen Osten mit Russland, und das ist die Sorge um Regimestabilität. Das ist eine Triebkraft russischer Politik, die man nicht unterschätzen darf. Einer der zentralen Vorwürfe, die Moskau dem Westen macht, ist, dass die USA und andere Staaten hinter diversen Regimewechseln gestanden hätten. Das betrifft vor allem den postsowjetischen Raum, ich denke an die Ukraine, an Georgien, an den Balkan. Und ich glaube diese Sorge um Regimewechsel wird jetzt auf den Nahen und Mittleren Osten übertragen. Ein Regimewechsel in Syrien wird aus prinzipiellen Gründen abgelehnt. Und das ist natürlich etwas, was Herrscher in Riad und Herrscher in Kairo anziehend finden. Sie sind zunehmend mit innenpolitischer Opposition konfrontiert.
Auf der anderen Seite sind ja die USA selber in Gesprächen mit Russland, um eine mögliche Zusammenarbeit gerade wegen Syrien zu schaffen. Ist dies denn noch möglich unter diesen Prämissen?
Es gibt eine Unschärfe in den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland. Der Westen geht davon aus, dass eine Einhegung des syrischen Bürgerkrieges nur mit russischer Einbindung möglich ist. Die Einschätzung, dass eine Lösung nur über Washington führt, teilt Russland aber nicht, und das ist die Unschärfe. Moskau kann sich erlauben, aus einer Situation der militärischen Stärke die politischen Rahmenbedingungen zu diskutieren. Und das sieht man ja auch. Die Moskauer Regierung hat die syrische Führung in den letzten Monaten erheblich unterstützt, militärisch seit dem September des letzten Jahres. Damit hat sie letztlich den entscheidenden Impuls für einen politischen Bedeutungsgewinn der Regierung Assad gegeben.
Warum ist es für Russland so wichtig, in dieser Region wieder eine grosse Rolle zu spielen?
Es geht nur zu einem gewissen Teil darum, im Nahen und mittleren Osten wieder ein Profil zu zeigen und wieder eine Weltmachtrolle zu spielen. Es könnte auch eine andere Region der Welt sein. Russland will wieder auf die weltpolitische Bühne zurückkehren und die Phase der machtpolitischen Schwäche, die so in Moskau gelesen wird, vergessen machen. Wir sehen dieses Auftreten von grösserem Selbstbewusstsein, unterfüttert von grösseren militärischen und diplomatischen Ressourcen auch an anderen Orten des internationalen Systems. Von daher ist der syrische Krieg, beziehungsweise die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens nach den tektonischen Verschiebungen, nur eine Facette einer Neuordnung der russischen Aus- und Sicherheitspolitik.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.