Nach acht Jahren der Annäherung an China erlebt Taiwan eine Wende. Die Kandidatin der oppositionellen Fortschrittspartei (DPP), Tsai Ing-wen, gewann die Präsidentenwahl mit deutlichem Vorsprung.
Ihr Gegner Eric Chu von der bisher regierenden Kuomintang gestand seine Niederlage ein, während die Oppositionsführerin in der Auszählung mit mehr als 50 Prozent führte.
Spannungen mit China zu erwarten?
Die 59-jährige Juraprofessorin wird damit die erste Präsidentin der demokratischen Inselrepublik. Die bislang regierende Kuomintang, deren Politik als «china-freundlich» kritisiert worden war, erlitt eine verheerende Niederlage. In seiner Rede kündigte Chu seinen Rücktritt als Vorsitzender der Kuomintang an. Abgeschlagen lag auch der dritte Kandidat James Soong von der kleinen Volkspartei (PFP).
Der Wahlsieg der Vorsitzenden der Fortschrittspartei, die ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat, könnte Spannungen mit der Führung in Peking auslösen. Die Kommunisten betrachten Taiwan nur als abtrünnige Provinz und drohen mit einer gewaltsamen Rückeroberung.
Anders als ihr Vorgänger Ma Ying-jeou, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, will die künftige Präsidentin eher auf Distanz zu Peking gehen und die Eigenständigkeit Taiwans betonen. Ihre Fortschrittspartei führte auch bei der Auszählung der Stimmen für das Parlament vor der Kuomintang, die bisher immer die Mehrheit der Sitze inne gehabt hatte. Endgültige Ergebnisse lagen noch nicht vor.
Verjüngte Politik im Land
Der Wahlsieg von Tsai Ing-wen ist ein Votum des Misstrauens gegen Peking. Es ist auch Ergebnis eines Generationenwechsels: Junge Taiwaner haben mit China nichts am Hut.
Die Verjüngung von Taiwans Politik hatte grossen Einfluss auf die Wahl. Mit der «Sonnenblumenbewegung» im Jahr 2014 organisierten sich Studenten gegen die intransparente Handelspolitik der Regierung gegen China. Im Laufe der Proteste hatten sie sogar das Parlament besetzt. Aus der Bewegung ist die «Partei der neuen Kraft» (NPP) entstanden, die bei der Wahl ebenfalls grossen Zulauf fand.
«Die Jugend kann sich nicht mit der Kuomintang identifizieren, die aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts stammt», sagt Freddy Lim, Sänger der berühmten Death-Metal-Band Chthonic. «Sie ist wie ein Dinosaurier und hat keine Vorstellung von der Internet-Ära und kein Verständnis für die heutige Gesellschaft.» Der 39-Jährige ist Mitbegründer NPP und erhielt einen Sitz im Parlament.