Für das Gastgeberland Ungarn und seinen rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban ist es kein schmeichelhafter Anlass: Der Weltverband der jüdischen Gemeinschaften und Organisationen ausserhalb Israels (WJC) hält in Budapest seinen alle vier Jahre stattfindenden Jahreskongress ab.
Die Organisation hat den Tagungsort nach eigenen Worten «ganz bewusst» gewählt, um «ein starkes Zeichen» gegen den im Donauland grassierenden Antisemitismus zu setzen.
«Gefährlicher Irrweg»
In einem Gastkommentar für die «Süddeutsche Zeitung» machte WJC-Präsident Ronald S. Lauder im April unmissverständlich klar, weshalb es seine Organisation nach Budapest zieht. «Ungarn – das Land, in dem die drittgrösste jüdische Gemeinde der Europäischen Union beheimatet ist – befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg», schrieb er.
Dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban warf der prominente US-Unternehmer unter anderem vor, dass er sich zum «Vordenker des ungarischen Nationalismus» gewandelt habe und «oft dem rechten Rand nach dem Mund redet». Insgesamt habe die Zahl antisemitischer oder Roma-feindlicher Äusserungen seit Orbans Regierungsantritt 2010 «dramatisch zugenommen».
Rechtsextreme im Aufwind
«Die Entwicklungen in Ungarn sind tatsächlich besorgniserregend», sagt auch Damir Skenderovic. Er ist Rechtsextremismus-Spezialist an der Universität Freiburg. Seit die Fidesz-Partei von Premier Orban in Ungarn an der Macht sei, habe auch die Jobbik, eine offen rechtsextreme, antisemitische Partei, Aufwind. Seither kam es vermehrt zu antisemitischen Äusserungen und Vorfällen in Ungarn.
Laut Skenderovic will der WJC mit der Abhaltung seines Weltkongresses in Budapest auch ein klares Zeichen an Europa schicken: nicht wegzuschauen bei dem, was im EU-Mitglied Ungarn passiere – wie dies in den vergangenen Monaten und Jahren der Fall gewesen sei.
Nicht nur in Ungarn aber sind rechtsextreme Parteien und Bewegungen auf dem Vormarsch: «Es gibt alarmierende Zeichen», sagt Skenderovic. In den letzten Jahren seien in Europa neue Dimensionen im Rechtsextremismus festzustellen.
Rechtspopulisten als Wegbereiter
Der Historiker für Zeitgeschichte verweist im Gespräch mit Radio SRF darauf, dass offen rassistische und antisemitische Parteien in einigen europäischen Ländern Zulauf erhalten. Die neue Dimension dieser bislang zwar nur kleinen Parteien und Bewegungen umfasse auch Gewalt, etwa gegen Roma oder Migranten. Dies könne etwa in Ungarn oder Griechenland beobachtet werden.
Als eigentliche Wegbereiter der neuen Rechtsextremisten bezeichnet Skenderovic die rechtspopulistischen Parteien, welche sich – auch in der Schweiz – seit den 1990er Jahren etabliert haben. Diese hätten einen Nährboden gebildet für bestimmte Thematiken wie Migrations-, Identitäts- oder Europapolitik. Vor diesem Hintergrund – und angefeuert von der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit – hätten rechtsextreme Parteien diese Themen radikalisiert.
Deren Prinzip sei bekanntlich, einfache Lösungen zu propagieren und von der wirklichen Problematiken abzulenken. Dabei werde mit Sündenböcken gearbeitet, wie etwa Migrierende oder Juden, das sei auch in Ungarn zu sehen. Insofern setze der JWC ein «starkes Signal», seinen Jahreskongress in Budapest abzuhalten.