Um die zweitgrösste Stadt Syriens, Aleppo, wird derzeit wieder heftig gekämpft. Rebellen versuchen, den Belagerungsring von Regierungstruppen und Kurden zu durchbrechen und zu den eingeschlossenen Vierteln im Osten der Stadt durchzudringen. Martin Durm ist Reporter bei der ARD und war in den letzten Jahren immer wieder im umkämpften Aleppo. Er sagt im Interview: «Wenn Aleppo fällt, hat Assad den Bürgerkrieg gewonnen.»
SRF News: Lässt sich derzeit abschätzen, wie erfolgreich die Rebellen mit ihrem Angriff auf die Assad-Truppen sind?
Martin Durm: Das ist schwer zu sagen. Allein die Tatsache, dass sie offensichtlich noch über so viel Munition und Waffen verfügen, um den vom Regime gehaltenen grössten Teil Aleppos zu beschiessen, ist kaum als Erfolg zu werten. Tatsächlich waren die Angriffe der Milizen auf den Westteil Aleppos derart heftig, dass in den vergangenen Tagen mindestens 30 Zivilisten getötet wurden, darunter auch Kinder. Diese Angaben machte die den Rebellen nahe stehende Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien, die ihren Sitz bekanntlich in London hat. Dies zeigt auch, wie verzweifelt die Situation der Rebellen ist: Sie sind abgeschnitten vom Rest der Welt. Vor allem die Verbindungsstrasse in die Türkei, die sie bis vor kurzem für den Nachschub nutzen konnten, ist nun dicht und wird vom Regime kontrolliert. Der Versuch der Milizen, jetzt eine Bresche in diesen Belagerungsring zu schlagen zeigt, dass es für sie um einen Überlebenskampf geht.
Geschätzte 300'000 Zivilisten sollen im eingeschlossenen Teil Aleppos immer noch zusammen mit den Rebellen ausharren. Wie geschlossen ist der Ring um die einstige Millionenstadt?
Er ist so dicht, dass alle grösseren Verbindungsstrassen unbenutzbar sind, weil sie bombardiert, beschossen oder durch Checkpoints der Regimetruppen gesichert werden. Das heisst aber nicht, dass Aleppo vollständig abgeschnürt ist. Denn neben diesen grösseren Verbindungsstrassen gibt es noch «Schleichwege» – für jene, die sie kennen. Die Region liegt nur 50 Kilometer entfernt von der türkischen Grenze und ist ein altes, traditionelles Schmugglergebiet. Diese Wege werden nun wieder zu Fuss oder per Motorroller genutzt. Allerdings können dort keine Lastwagen verkehren, deshalb können auch keine Lebensmittel in ausreichender Menge zu den Eingeschlossenen gebracht werden. Kleinere Waffen, Munition, kleinere Mengen Medikamente oder Geld kommen aber weiterhin in die Stadt.
Wenn Aleppo fällt, hat Assad den Krieg gewonnen.
Für die in der zerstörten Stadt eingeschlossenen Zivilisten muss das Leben schrecklich sein...
Ja, das ist es. Allerdings steht Aleppo noch nicht am Rand einer Hungersnot. Die Menschen haben sich nach Möglichkeit auf eine Belagerung vorbereitet, denn diese hatte sich in den vergangenen Wochen abgezeichnet. Von einem Arzt in der Stadt habe ich gehört, dass vor allem Babynahrung und Benzin fehlt. Diesel gebe es dagegen im Moment noch genug. Das ist deshalb wichtig, weil mit Diesel die Stromgeneratoren betrieben werden, die wiederum Strom für die Beleuchtung der wenigen Krankenhäuser und Not-Lazarette liefern. Ein in der Erde vergrabener, vor Bomben geschützter Untergrund-Container sei noch ganz gefüllt, sagte man mir.
Während der Westen mit sich selbst beschäftigt ist, reibt sich Assad in Syrien seine blutigen Hände.
Das russische und das syrische Militär haben offenbar Sicherheitskorridore eingerichtet, durch die Zivilisten ins Regierungsgebiet gelangen können sollen – lassen die Rebellen die Menschen überhaupt ziehen?
Wer gehen will, kann gehen. Allerdings trauen die Menschen in Aleppo Assad und seinem humanitären Korridor nicht. Sie haben sich vier Jahre lang vom Regime beschiessen und bombardieren lassen müssen. Sie befürchten nun, dass das geschieht, was in ähnlichen Situationen auch andernorts in Syrien bereits geschehen ist: Die jüngeren – und auch älteren – Männer wurden abgegriffen und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Von russischer Seite heisst es, bislang hätten 400 Menschen aus Aleppo die humanitären Korridore zum Verlassen der Stadt genutzt. Im Vergleich zu den insgesamt noch in der Stadt eingeschlossenen Menschen ist diese Zahl lächerlich gering. Allerdings haben Zehntausende in den vergangenen Tagen versucht, aus dem Zentrum Aleppos in die umliegenden Dörfer oder in Parkanlagen am Rande der Stadt zu flüchten, um sich vor dem massiven Bombardement in Sicherheit zu bringen.
Assad benutzt den IS als Popanz des Bösen – alle Aufständischen seien Dschihadisten.
Russland kämpft offenbar wieder intensiver an der Seite Assads. Was tut der Westen?
Er beschäftigt sich mit sich selbst. Wir sind daran, unsere Wunden, die der «Islamische Staat» im Westen gerissen hat, zu pflegen. Wir beschäftigen uns momentan nicht mit Aleppo, sondern mit Würzburg, Ansbach oder Nizza. Das ist die blutige Ironie dieses Konflikts: Während sich der Westen mit dem vom IS angerichteten Unheil beschäftigt, nutzt das Assad-Regime die Gunst der Stunde und macht mit russischer Hilfe den Belagerungsring um Aleppo, der zweitwichtigsten Stadt des Landes, dicht. Wenn Aleppo fällt, hat Assad den Bürgerkrieg gewonnen. Das Absurde ist, dass Assad den IS 2013 hochkommen liess: Gerade in Aleppo hat Assad den IS über drei Kriegsjahre hinweg nicht angegriffen und ihn sozusagen herangezüchtet. Assad benutzt den IS als Popanz des Bösen, um auf ihn zeigen zu können und zu sagen, dass alle Aufständischen Dschihadisten seien. Während der Westen mit sich selbst beschäftigt ist, reibt sich Assad in Syrien seine blutigen Hände.
Gehen Sie davon aus, dass Assad den Krieg gewinnen wird?
Ja. Alles deutet darauf hin. Seit sich Putin im Oktober 2015 massiv in den syrischen Bürgerkrieg eingemischt hat, ist es Assad gelungen, etliche Gebiete und Städte wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Assad hat mit den Russen eine hocheffiziente Luftwaffe zur Verfügung, die ihm den Weg freikämpft.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.