Grimmiger Blick und laute Stimme: Hatem Shamali hat genug. Journalisten haben ihm jetzt gerade noch gefehlt. «Was soll ich denn noch sagen? Sehen sie doch selber: Kein Zement, nirgends.» Das Waffenstillstandsabkommen in Kairo sei unterschrieben, sie hätten alle Bedingungen akzeptiert, Kameras aufgestellt – und es komme trotzdem nichts rein.
Strikte Kontrollen lähmen Wiederaufbau
Shamali ist der Besitzer einer Zement-Fabrik in Gaza-Stadt. Dort, wo sich normalerweise Säcke mit Baumaterial stapeln, ist es fast leer. Über den Regalen sind tatsächlich Kameras installiert.
Jeder Sack Zement wird gefilmt und sein Weg genauestens verfolgt. UNO-Leute begutachten jede Quittung, jeden Käufer. Shamali schüttelt den Kopf: «Seit drei Monaten ist der Krieg zu Ende, und bis heute sind nur ein paar hundert Tonnen Zement hier bei uns eingetroffen. Wenn das so weitergeht, dauert der Wiederaufbau 30 Jahre», schnaubt der Bauunternehmer.
Ohnmacht und Wut sind die Reaktion auf eine unerträgliche Situation. Israel hat diesen Kontrollmechanismus verlangt, um die Hamas am erneuten Tunnelbau zu hindern. Die UNO hat zugestimmt und ebenso die palästinensische Autonomiebehörde von Präsident Abbas. In der Praxis lähmt dieses Prozedere nun den dringenden Wiederaufbau komplett. Zehntausende Menschen sitzen in den Schuttwüsten ihrer Häuser, ein Grossteil der Fabriken ist dem Erdboden gleichgemacht, ganze Regionen sehen aus wie nach einem schweren Erdbeben – und der Winter hat begonnen: mit Kälte, Regen und Sturm.
Zerstrittene Einheitsregierung
«Wir schreien um Hilfe, aber niemand kümmert sich um uns», sagt Hani Habib, ein unabhängiger Politikwissenschaftler in Gaza-Stadt. Auch er ist immer noch geschockt vom Ausmass der Zerstörung. In 51 Kriegstagen hat Israel ganze Viertel des Küstenstreifens verwüstet.
Habib sieht aber auch eine palästinensische Verantwortung. «Formell haben sich Hamas und Fatah zwar zu einer Einheitsregierung durchgerungen. In Wahrheit aber torpedieren sie sich gegenseitig.» Keiner der neuen Minister – Technokraten aus Gaza und Ramallah – könnten arbeiten. Die Hamas blockiere alles. Daher halte die internationale Staatengemeinschaft das Geld zurück, sagt Habib. «Sie will es nur einer funktionierenden Einheitsregierung überweisen.» Der Premier dieser Regierung sitze weit weg in Ramallah im Westjordanland und sei bisher gerade mal einen einzigen Tag in Gaza aufgekreuzt.
Leise Kritik an der Hamas
Die Hamas schaue dem Ganzen ungerührt zu, sagt Habib. Dies bestätigt Mustafa Sawaf, Chefredakteur der Hamas-nahen Zeitung Risala: «Wir sind gar nicht mehr in der Regierung, also nicht mehr in der Verantwortung. Die Hamas-Minister sind alle zurückgetreten.» Die neuen Minister arbeiteten gar nicht, sagt Sawaf. Es klingt, als würde er über Feinde sprechen.
Auch das Drama der Menschen, die im Krieg alles verloren haben und nun unter offenem Himmel auf den Trümmern sitzen, scheint den Chefredakteur nicht zu bewegen. «Grossspurig hat die Hamas den Einwohnern versprochen, dieser Krieg ende mit der totalen Aufhebung der israelischen Blockade. Heute scheint vielen diese Blockade strikter denn je.» Kritik an der Hamas sei von vielen Gaza-Bewohnern zu hören, aber meist nur leise, aus Angst.
Psychische Wunden
«Nichts ist erreicht worden», zieht Politologe Habib eine düstere Bilanz. Der Krieg sei gar nicht zu Ende, jederzeit könne es zu einer Fortsetzung kommen. «Sie sehen auf den ersten Blick nur die materielle Zerstörung. Aber da gibt es so viele psychische Wunden: Wir sind hier alle verstört und seelisch krank und ohne Vertrauen», sagt Habib. Das mache die Lage so unberechenbar.