Einer Quadratur des Kreises glich die Bildung der neuen Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu. Fragen zur neuen Ausgangslage an Gad Lior. Er ist Bürochef in Jerusalem der gemässigt-konservativen und grössten Tageszeitung Israels «Yediot Achronot».
SRF News: Ist das nun ein echte Regierung oder ein Wackelkabinett?
Gad Lior: Ich halte es für möglich, dass es bereits in ein paar Monaten wieder Wahlen gibt. Denn es ist sehr schwierig, mit 61 von 120 Mandaten eine richtige Regierung zu führen und wichtige Pläne etwa im Bereich der Friedensgespräche oder der Wirtschaft umzusetzen. Bereits wird gescherzt, dass nun angesichts der knappen Mehrheit kein Abgeordneter mehr ins Ausland reisen dürfe. Vor 20 Jahren gab es eine ähnliche Regierung, die nur sehr kurz gehalten hat.
Benjamin Netanjahu war der grosse Gewinner der Wahlen. Wie konnte er sich so massiv verrechnen?
Weil er die Arbeiterpartei unter Jitzchak Herzog mit ihren 24 Mandaten nicht bei sich haben wollte. Zusammen mit den eigenen 30 Mandaten und einer weiteren kleineren Partei hätte er leicht eine Koalition mit einer grösseren Mehrheit aufbauen können, ohne die Orthodoxen zu berücksichtigen. Nun hat er eine ganz rechte Regierung mit nur 61 Mandaten. Auch ist Aussenminister Avigdor Liebermann zurückgetreten und mit seinen sechs Mandaten in die Opposition gegangen. Netanjahu hat also einen grossen Sieg und eine kleine Koalition.
Wie hoch war der Preis für diese haarscharfe Mehrheit, die Netanjahu jetzt zusammen hat.
Der Preis war tatsächlich hoch. So hat die kleine rechte Siedlerpartei von Naftali Bennett mit nur acht Mandaten jetzt drei Minister, darunter die Justizministerin und wichtige Posten in der Knesset. Bennett hat also viel mehr gekriegt als bei einer grossen Koalition.
Wird Netanjahu versuchen, das zionistische Mitte-Links-Bündnis zu umgarnen, im Hinblick auf baldige nochmalige Wahlen?
Das kann sein. Wenn es überhaupt wieder Wahlen gibt, wird es wohl anders laufen. So könnte etwa der ehemalige Finanzminister Yair Lapid mit seinen noch elf Mandaten mit der Arbeiterpartei zusammenspannen und siegen. Davor fürchtet sich Netanjahu. Inzwischen sieht es so aus, dass die fünf Parteien in Netanjahus Koalition auch darin bleiben wollen – aus Angst, bei den nächsten Wahlen zu verlieren.
Die kleine rechte Siedlerpartei von Naftali Bennett hat enorm viel herausgeholt, was heisst das für die künftige Politik Israels?
Mit einer solchen Koalition wird es für Friedensgespräche mit Palästinensern oder anderen sehr schwierig werden. Wenn es nicht klappt mit dieser Regierung, wird vielleicht bald eine andere kommen. Netanjahu steht unter grossem Druck aus Europa und den USA.
Netanjahu wird dann möglicherweise die Arbeiterpartei mit Herzog und seinen 24 Mandaten doch noch holen, womit er auf 85 Mandate käme. Und Herzog würde kommen, wenn er Aussenminister und Vizepremierminister wird. Dann würde es auch mit Friedensgesprächen weitergehen.
Hat Netanjahu eigentlich noch die Unterstützung seiner Likud-Partei?
Es sieht nicht so aus. Wenn man so viel Ministerien an die kleinen Parteien verkauft und Likud-Leute vor den Kopf stösst, bekommt man auch Probleme in den eigenen Reihen. Netanjahu wird entsprechend kein leichtes Leben haben in der jetzigen Koalition.
Auch gibt es ja aktuell keinen Aussenminister in der Regierung. Das heisst, dass Netanjahu jetzt daran denkt, jemanden zu holen. Dies könnte der ehemalige Finanzminister Lapid mit seinen elf Mandaten sein. Darum lässt er im Moment diesen Stuhl leer und ist bis dahin sowohl Premier- wie auch Aussenminister.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.