Bei den Parlamentswahlen in Russland hat Präsident Wladimir Putins Partei Einiges Russland – bei der er formal nicht Mitglied ist – ihre Macht weiter gefestigt. 343 der 450 Mandate in der Staatsduma gehen an die Partei – nach Auszählung von 93 Prozent der Stimmen. Damit stellt sie gar eine verfassungsändernde Mehrheit. Die Wahlbeteiligung allerdings fiel mit knapp 48 Prozent tief aus. Ist sie ein Zeichen dafür, dass die Russen eigentlich Lust auf eine andere Politik hätten? Und weshalb haben die liberalen Oppositionsparteien dennoch keinen einzigen Sitz in der Duma erreicht?
Laut SRF-Russlandkorrespondent David Nauer sind die Gründe vielfältig: «Viele Russen sehen keine andere Perspektive. Sie sind desillusioniert und glauben, sowieso nichts verändern zu können.» Der Kreml – und damit Putin – habe lange darauf hingearbeitet, dass «die russischen Wähler akzeptieren, dass es keine Alternative zur jetzigen Politik gibt».
Opposition am Gängelband
Einerseits werde Putin von den Staatsmedien seit Jahren propagandistisch als Übervater inszeniert. Und viele Russen fänden seine Politik auch gut. «Vor allem seine Aussenpolitik, die Russland wieder zur Weltmacht machte, wird sehr positiv bewertet», so Nauer.
Andererseits nehme man der Opposition die Möglichkeit, überhaupt Kräfte zu entwickeln. «Hat ein Oppositioneller das Format, wirklich populär zu werden, lebt er relativ gefährlich», so Nauer. Immer wieder komme es zu Verleumdungskampagnen, Verfolgungen oder Anklagen, die Oppositionelle zur Ausreise zwingen – oder sie gar ins Gefängnis bringen können.
Einen Monat lang Wahlwerbung verteilen zu dürfen, reicht nicht, um genügend Stimmen zu holen.
Zudem würden die Oppositionsparteien von den Medien schlicht nicht beachtet. Damit sei es Parteien wie Jabloko oder Parnas kaum möglich, ihre potenziellen Wähler zu erreichen. «Einen Monat lang Wahlwerbung auf ein paar Plätzen in Moskau verteilen zu dürfen, reicht nicht, um genügend Stimmen zu holen. Und das weiss der Kreml.»
Genau deshalb habe das neue Wahlsystem auch dazu geführt, dass Einiges Russland deutlich zulegen konnte. Neu wurde nicht nur über Parteilisten gewählt, sondern auch über Direktmandate. «Das wäre eigentlich eine Chance für die Opposition. Doch nicht einmal in einem der liberalen Bezirke Moskaus schaffte es der Oppositionskandidat in die Duma», so Nauer.
Manipulationen und Vetternwirtschaft
Allerdings habe beispielsweise die Jabloko-Partei in Moskau 9 Prozent der Listenstimmen geholt, eine Zahl, die bei einem nationalen Resultat für einen Einzug in die Duma reichen würde. «Man kann das auf zwei Arten interpretieren: Entweder sind die Wähler in Moskau besonders liberal, oder es kam in der Hauptstadt nur zu wenigen Manipulationen, weil viele Wahlbeobachter vor Ort waren», erklärt Nauer.
Zu Manipulationen sei es im Land sicherlich gekommen, obwohl ihr Ausmass schwer zu beurteilen sei: «In einigen Regionen erzielte Einiges Russland aber derartige Traumresultate, dass sie schlicht nicht stimmen können.»
In einigen Regionen erzielte Einiges Russland Traumresultate, die schlicht nicht stimmen können.
In ländlich geprägten Gebieten spiele aber auch eine Rolle, dass sich die Wähler von einem Kandidaten der Regierungspartei mehr versprechen als von einem Oppositionskandidaten. «Der Regierungskandidat ist in Moskau Teil eines Netzwerks, und er kann darauf hinwirken, dass in seiner Region ein Spital oder eine Strasse gebaut wird», erklärt Nauer. Beim Oppositionskandidaten, das sei den Wählern klar, ist Gleiches ein Ding der Unmöglichkeit.
Zwischen Krimkonsens und Angst vor Repression
Noch vor fünf Jahren gab es Massenproteste, nachdem Einiges Russland bei den Duma-Wahlen mit offensichtlichen Wahlmanipulationen die absolute Mehrheit erreichte. 2016 – mit einem noch besseren Resultat für die Putin-Partei – dürften sich die Proteste jedoch kaum wiederholen. Was also hat sich seither verändert? «In Russland herrscht der sogenannte Krim-Konsens», erklärt SRF-Korrespondent Nauer. «Putin wurde fast schon zur sakralen Figur, weil er die Krim ‹heimgeholt› hat.» Auch deshalb bleibe öffentliche Kritik am Präsidenten praktisch aus.
Doch nicht nur: Noch jetzt gebe es Gerichtsverhandlungen gegen Teilnehmer von einigen Massendemonstrationen, die Repression sei stark, erklärt Nauer. So manch oppositionell eingestellter Russe frage sich deshalb, ob er zwei Jahre Gefängnis riskieren solle, um an einer Demonstration teilzunehmen: «Vor allem, weil die Proteste damals keine Veränderung brachten. Und wohl auch nun nicht bringen würden.»