SRF: Wie wichtig ist für Sie als UNRWA-Generalkommissar das Ergebnis der Geberkonferenz für den Wiederaufbau im Gazastreifen?
Pierre Krähenbühl: Das ist ein wichtiger Tag. Gewisse Teilnehmerstaaten fürchteten, jetzt noch einmal in den Gazastreifen investieren zu müssen, nachdem sie das schon früher gemacht hatten und es wieder zur Zerstörung kam. Man hörte die Frage hier sehr oft in den letzten Tagen: ‹Müssen wir jetzt wieder investieren, um in zwei Jahren nochmals Krieg zu haben?›
Es war wichtig, dass es nicht nur um eine humanitäre Konferenz ging, sondern wirklich um den Wiederaufbau im Gazastreifen: Darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist dringend nötig hier. Man hörte auch von politischem Handeln. So wurden auch schwerwiegende Punkte wie etwa die Blockade endlich strukturell angegangen.
Eine Forderung an der Konferenz war, dass die Israelis und die Palästinenser die Friedensverhandlungen wieder aufnehmen. Wird sich da etwas bewegen?
Wahrscheinlich sind die Chancen dafür eher gestiegen, weil das Ausmass der Zerstörung mit den vielen Toten und den sehr vielen Verletzten in diesem Sommer so gross war – und auch aufgrund der internationalen Wahrnehmung von dem, was geschehen ist.
Die Leute im Gazastreifen erwarten jetzt, dass sich etwas tut. Man muss sich vorstellen: Für 1,8 Millionen Personen gibt es wegen der Blockade weder Bewegungs- noch Handelsfreiheit, und es gibt auch keine Perspektive auf Arbeitsplätze. Das ist natürlich keine Grundlage für Stabilität in der Gegend. Das muss sich ändern.
Israel befürchtet, dass das Geld für Tunnels und Waffen verwendet wird. Wie stehen die Chancen, die Israelis diesmal mit an Bord zu bekommen?
Ich stehe in regelmässigem Dialog mit israelischen Behörden, egal ob mit dem Aussenministerium oder der Armee. Ich habe immer darauf bestanden, dass man mir sagt, ob irgendwann einmal Hinweise darauf bestanden, dass in einem dieser Tunnels Baumaterial des UNWRA gebraucht worden ist. Das war nicht der Fall. Andererseits ist es sehr wichtig, dass jetzt alle Bedingungen erfüllt sind, die es braucht, um wieder einen politischen Dialog aufzunehmen.
Ich glaube aber, dass eines der grössten Sicherheitsprobleme die Tatsache ist, dass über die Hälfte der Bevölkerung in Gaza unter 25 Jahre alt ist. Diese haben in ihrem Leben noch nie einen Israeli getroffen. Einfach weil die Trennung – sei es wegen der Mauer oder der Kampfhandlungen – inzwischen so vollständig ist, dass die persönlichen Kontakte, die ihre Eltern hatten und teilweise noch haben, nicht mehr existieren. Das kann weder im Interesse der Palästinenser noch der Israelis sein. Insofern hoffe ich, dass auch diese Perspektive künftig mit einbezogen wird.
Über die Hälfte der Bevölkerung in Gaza hat in ihrem Leben noch nie einen Israeli getroffen.
Das Gespräch führte Barbara Büttner.