Peter Maurer ist in den Gängen des UNO-Hauptsitzes unablässig unterwegs. Er schüttelt Hände, spricht mit Präsidenten und Ministern. Denn während der UNO-Gipfelwoche im September sind sie alle da. «Es ist eine Gelegenheit, quer durch alle Operationen des IKRK mit den jeweiligen führenden Persönlichkeiten zu sprechen», sagt Maurer.
So wenig Mittel wie lange nicht mehr
Maurer muss unbedingt mit ihnen sprechen, denn die Not ist gross – einerseits die Not der Menschen vor Ort im Sahel, im Herzen Afrikas, in der Ukraine und vor allem im Jemen und in Syrien. Gross ist auch die Not der humanitären Organisationen. Da es an Geld fehlt, muss die UNO die Hilfsprogramme herunterfahren.
Ganz so dramatisch ist es beim Internationalen Roten Kreuz nicht. Doch man sei in dem Sinne betroffen, dass man an vielen Orten der Welt mit mehr Mitteln auch mehr machen könnte, sagt Maurer.
«Wir haben schon in diesem Jahr angesichts der Vielzahl der Konflikte mehr Probleme, die Operationen ausreichend finanziert zu erhalten», erklärt Maurer. So muss die IKRK-Führung denn auch immer öfter schwierige Entscheidungen treffen: «Wir stehen heute vor der Wahl, entweder mehr Geld zu mobilisieren oder ein erhebliches Defizit zu haben. Oder wir müssen unsere Hilfsleistungen reduzieren, damit wir weiter existieren können.»
Humanitäre Hilfe gegen Flüchtlingsströme
Eigentlich so Maurer, müssten gerade reiche, westliche Länder alles Interesse daran haben, dass humanitäre Hilfe vor Ort bestmöglich geleistet wird. Beispielsweise in Syrien: «Wenn man sagt, dass die Hälfte der syrischen Bevölkerung vertrieben ist, dann ist immer noch der grössere Teil in Syrien selbst vertrieben, also über acht Millionen Menschen.» Und diese acht Millionen blieben möglicherweise in ihrer Heimat und flüchteten nicht nach Europa, wenn ihre Existenz in Syrien gesichert wäre.
Es geht dem IKRK-Präsidenten aber nicht nur um Geld. Es geht ihm auch um politisches Engagement dafür, dass die humanitäre Hilfe überhaupt geleistet werden kann, dass Zugänge ausgehandelt werden. Gerade das ist zurzeit in Syrien, aber auch am Tschadsee in Zentralafrika oder im Jemen, das Problem.
Einflussreiche Länder sollten sich viel stärker engagieren und dem humanitären Völkerrecht Nachachtung verschaffen: «Wenn schon nur diese Regeln respektiert würden, wären viele Leute nicht auf der Flucht oder vertrieben und viele könnten in jenen Ländern, in denen sie heute noch sind, überleben.» Mehr humanitäre Hilfe, weniger Flucht – der Zusammenhang ist sehr direkt.
Ostukraine, Jemen, Syrien – Eine Vielzahl an Krisenherden
In der Ostukraine musste das IKRK Operationen auf Eis legen. Erst seit kurzem könne man wieder tätig sein, so Maurer. Die meisten anderen Hilfsorganisationen wurden jedoch von den lokalen Separatisten willkürlich weggewiesen. Im Jemen gab es Angriffe auf das IKRK-Büro in Aden. Man versucht jetzt in zähen Verhandlungen zu erwirken, die Operationen wieder aufzunehmen. Die Anzahl und die Intensität von Kriegen ist grösser geworden – die weiter wachsenden Flüchtlingswellen waren also erwartbar. «Wenn wir den Ursprung diese Bevölkerungsbewegungen ansehen, dann sind es überall Orte, wo sich Kriege intensiviert haben», erklärt Maurer.
Der mit Abstand blutigste all dieser Kriege ist jener in Syrien. Während der UNO-Generaldebatte gibt es nun endlich etwas diplomatische Bewegung. Kaum mehr als ein blasser Silberstreifen am Horizont. Maurers Kampf zur Durchsetzung der humanitären Prinzipien hört so bald nicht auf.