In Israel ist ein weiterer Rutsch nach rechts absehbar. Fast sechs Millionen Wahlberechtigte können heute das Parlament – die Knesset – zusammenzustellen. Das regierende konservative Lager der Likud unter Benjamin Netanjahu erhielt im Vorfeld grosse Zustimmung.
Starke Zustimmung bekam auch sein Widersacher Naftali Bennet vom ultrarechten Lager. Seine Partei Das Jüdische Haus ist siedlerfreundlich, sie wehrt sich gegen eine Zwei-Staaten-Lösung. Bennets Partei, die Likud und die streng religiöse Schah-Partei könnten eine Koalition bilden.
Viel Rhetorik
Im Wahlkampf machte Netanjahu Stimmung gegen seinen Erzfeind Iran und dessen Atomprogramm. Wollen die Israelis eine härtere politische Gangart?
«Auf rhetorischer Ebene war die Gangart schon stark», sagt Nahost-Experte Martin Beck zu SRF News Online. Beck ist Professor für gegenwartsbezogene Nahoststudien an der University of Southern Denmark.
Israel sei sehr auf seine Sicherheit bedacht, erklärt er. «Eine Mehrheit fühlt sich von Iran bedroht.» Gleichzeitig spiele die Aussenpolitik bei den Wahlen eine grössere Rolle als etwa in Europa. Es stecke viel Machtpolitik dahinter: «Wenn Iran tatsächlich atomwaffenfähig wäre, würde Israel das Monopol als einzige Nuklearmacht der Region verlieren», so Beck.
«Kriegsgefahr mit Iran steigt kaum»
In den letzten Monaten habe Israel mächtig die Kriegstrommel gegen Irans Führung gerührt. Ein Wahlausgang zugunsten der Rechtskonservativen würde eine noch härtere Gangart provozieren - in Israel. Nicht aber ausserhalb des Landes: «Die Kriegsgefahr mit Iran steigt kaum», vermutet der Professor. «Denn Israel dürfte nicht ohne Zustimmung der USA angreifen – und die Regierung Obama hat kein Interesse, im Nahen Osten Krieg zu führen.»
Die Palästinenser-Frage spielte im Wahlkampf eine grosse Rolle. Weltweit spürt man grosse Solidarität mit den Palästinensern. Einen Boykott der israelischen Wirtschaft durch die Handelspartner USA und Europa hält Beck jedoch für unwahrscheinlich. Die mächtigsten Staaten der Welt würden Israel immer noch deutlich unterstützen.
Friedensvertrag ist klinisch tot
Der Friedensprozess zwischen Iraelis und Palästinensern sei schon seit 2010 tot, meint der Nahost-Experte nüchtern. «Netanjahu hat zumindest rhetorisch immer an einer zwei-Staaten-Lösung festgehalten.» Aber nun setze sein rechter Koalitions-Partner Naftali Bennet einen drauf: Bennet ist gegen einen eigenen Staat für die Palästinenser.
Diese Haltung könnte laut Professor Beck Auswirkungen haben: «Netanjahu wäre nach den Wahlen nicht mehr gezwungen, diese Rhetorik aufrechtzuerhalten. Der Extremfall wäre, dass der Friedensprozess von Israel offiziell für tot erklärt würde.»
Ratlosigkeit könnte übergreifen
«Doch toter als jetzt kann der Friedensprozess kaum noch werden», sagt Martin Beck von der Universität in Dänemark. Bisher werde der Weg zum Frieden immer noch als theoretische Perspektive gehandelt – von Israel, von palästinensischer Seite sowie von der internationalen Gemeinschaft. Wenn die Optioin aber fehle, herrsche universelle Ratlosigkeit, glaubt Beck. «Die Frage wäre dann, an welcher Perspektive sich Europäer und Amerikaner im Hinblick auf den seit Jahrzehnten ungelösten Konflikt noch festhalten könnten.»