Über der Innenstadt von Carlisle hört man wie am Vortag der historischen Abstimmung die Möwen schreien. Vielleicht sogar klarer heute, denn viele Leute sind am Vormittag nicht unterwegs. Die meisten haben wohl in der Nacht die Auszählung verfolgt und ruhen sich etwas aus.
Einem sportlichen Mitfünfziger scheint die Auszählungsnacht jedoch gar beflügelt zu haben: «Das war eine gute Entscheidung, ich habe auch für einen Austritt gestimmt und bin glücklich.» Anders eine etwa gleichaltrige Frau, die den Tränen nahe sagt: «Es tut mir so leid. Es ist ein schlechter Tag für mich, weil ich bleiben wollte.»
Das Versprechen der Populisten
Und der Chauffeur eines Lieferwagens meint, mit einem Austritt gewinne man ja gar nichts. Höchstens auf lange Sicht vielleicht. Vielleicht könnten seine Kinder einmal davon profitieren, aber er sicher nicht. Er geht davon aus, dass es mit einem Austritt Grossbritanniens aus der EU kaum neue Jobs geben wird.
Andere stimmten gerade in der Hoffnung auf Arbeit für einen Austritt, weil dann die Konkurrenz der Einwanderer wegfalle. Es gebe zu viel Immigration in diesem Land, sagt ein anderer Passant. Zudem sei die EU zu stark reguliert.
Ein Aufschrei
Nach ersten Abstimmungsanalysen ist das massive Austrittsvotum der zurückgelassenen Gegenden des englischen Nordens auch ein Votum gegen die Regierung in London. Für die Eliten, die nichts für die Region unternehmen, dafür Sparpakete verordneten. Die Schliessung von Spitälern etwa oder von Bibliotheken und Schwimmbädern. Es sei ein Aufschrei der Vergessenen gewesen, hört man auch.
Dieser Schrei war sicher bis London hörbar. Ob er etwas nützt, darf bezweifelt werden. Schatzkanzler Osborne hatte schon im Vorfeld der Brexit-Abstimmung angekündigt, dass bei einem EU-Austritt weitere harte Sparpakete folgten.
(Sendebezug: Sondersendungen zum Brexit bei SRF)