Bildung in Afghanistan
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Bild 1 von 8. In Anbetracht der desolaten Sicherheitslage und der zerstörten Wirtschaft wirkt das Bildungswesen wie ein Leuchtturm im instabilen Afghanistan. Heute besuchen knapp vierzig Prozent aller Mädchen eine Schule. Neun Mal mehr Kinder drücken die Schulbank als zu Zeiten der Taliban. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 2 von 8. Dennoch: Laut einem Weltbank-Bericht sind 75 Prozent aller Lehrer in Afghanistan nicht genügend ausgebildet. Schüler seien nach dem Fall der Taliban sowieso kaum gekommen, erinnert sich einer der Lehrer: «Im Jahr 2002 mussten wir von Haus zu Haus gehen, um die Eltern zu überreden, uns ihre Knaben zu schicken. Das ist heute ganz anders.». Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 3 von 8. Um Versäumtes nachzuholen, können Mädchen im ganzen Land gar zwei Schuljahre innert 12 Monaten absolvieren. Die Kurse sind vom Bildungsministerium abgesegnet und werden mit Hilfe nationaler und internationaler Organisationen angeboten. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 4 von 8. Für die meisten Mädchen ist aber nach wenigen Schuljahren Schluss. Sie wünschten, es wäre anders, sagen Haji Apa Gul (links) und ihre Freundinnen. «Blind sind wir wie Tiere, nicht mal lesen und schreiben können wir.». Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 5 von 8. Siddiqa und ihre Freundinnen haben gelernt, mit einem Computer umzugehen. Das Internet kennen sie aber nur vom Hörensagen. «Mit Hilfe des Internets können sich Menschen sehen, die weit voneinander weg wohnen. Man kann auch ganz schnell Briefe verschicken». Am Netz ist die Schule von Pechgah noch nicht. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 6 von 8. Weil es viel zu wenig Lehrerinnen gibt, unterrichten oft Schulabgängerinnen. Siddiqa ist 22-jährig und unterrichtet 26 Kinder. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 7 von 8. Wenn nur Männer an den Schulen unterrichten, ist das für Mädchen grundsätzlich ein Problem. «Wenn wir die älteren Mädchen zu einem Mann schicken, werden sie sagen, das Mädchen habe eine Affäre mit dem Lehrer. Dann wird es getötet», klagen die Mütter. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
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Bild 8 von 8. Trotz aller Fortschritte: Auf dem Schulhof ist die Trennung noch strikt – Mädchen und Knaben, wie von einer unsichtbaren Linie getrennt. Bildquelle: SRF/Karin Wenger.
Die Szene wäre vor einigen Jahren nicht denkbar gewesen, nicht unter dem Taliban-Regime: Schülerinnen in schneeweissen Kopftüchern stehen auf einer Bühne und singen ein musikalisches Gedicht, eine Hymne an ihre Lehrer. «Die Lehrer umsorgen uns wie Gärtner ihre Blumen. Sie geben uns Hoffnung am Anfang des Jahres.»
Die Mitschüler auf dem Schulhof hören gebannt zu. Es sind ein paar Dutzend Kinder mit braungebrannten Gesichtern und rauen Händen. Im Hintergrund leuchten schneebedeckte Berge.
Das Dorf Pechgah in der Provinz Samangan im Norden Afghanistans erinnert an eine andere Welt, eine andere Zeit. Hier ging vor wenigen Jahren noch kaum ein Mädchen zur Schule. Jetzt drücken die meisten Kinder die Schulbank, lernen gar Englisch und haben Computerkurse.
Für die meisten Mädchen ist nach wenigen Jahren Schluss
Bei genauerem Hinsehen offenbaren sich jedoch die Probleme hinter den schönen Statistiken. Diese sagen nichts über die Qualität und die Nachhaltigkeit der Bildung aus. Es fehlt an Schulräumen, qualifizierten Lehrern und vor allem an Lehrerinnen. Für die meisten Mädchen ist nach wenigen Schuljahren Schluss.
Sie wünschten, es wäre anders, sagen Haji Apa Gul und ihre Freundinnen. Die Frauen wohnen in einem kleinen Dorf im Norden Afghanistans. Jeden Tag treffen sie sich bei Haji Apa Gul, um Teppiche zu weben. Tratschend sitzen die Frauen vor einer Schale mit Bonbons und Dörrfrüchten und einer Tasse Grüntee auf dem Teppich von Haji Apa Guls Wohnzimmer. Probleme, nichts als Probleme klagen die Frauen im Chor.
Blind sind wir, wie Tiere, nicht mal lesen und schreiben können wir. Ein paar Jahre waren wir beim Mullah in der Moschee und haben gelernt zu beten, aber einige haben nicht einmal das gelernt.
Das Dorf hat zwar eine Schule, aber die einzige Lehrerin, hat das Dorf nach wenigen Monaten verlassen. Jetzt unterrichten nur noch Männer. Das sei ein Problem, klagen die Frauen: «Wenn wir die älteren Mädchen zu einem Mann schicken, werden die Leute sagen, dass das Mädchen eine Affäre mit dem Lehrer hat. Und dann wird es von seinem Bruder, Vater oder künftigen Ehemann getötet».
Eltern mit verdienstversprechenden Lerninhalten überzeugen
Mehr als 80 Prozent aller Schülerinnen werden in Afghanistan vor Abschluss der 6. Klasse aus der Schule genommen. So steht es in einem Bericht der Entwicklungsorganisation BRAC. Es gibt schlicht zu wenig Lehrerinnen.
Das Problem ist bekannt – auch in der Hauptstadt Kabul. Dort, geschützt hinter Stahltüren, Mauern und Stacheldraht lebt Rula Ghani, die Frau des Präsidenten Ashraf Ghani. Man müsse erfinderisch sein, um die Mädchen in die Schule zu locken, sagt sie.
Das habe sie von den Nichtregierungs-organisationen (NGOs) gelernt, die auf dem Land arbeiteten: «Die NGOs bringen den Mädchen nebst Lesen und Schreiben zum Beispiel auch ein Handwerk bei, mit dem sie dann Geld verdienen können. So billigen es die Eltern, dass auch ihre Töchter in der Schule bleiben, weil sie mehr lernen und mehr Geld verdienen.»
Schulabgängerinnen als Lehrerinnen
Mit Hilfe internationaler und nationaler NGOs bildet die Regierung auch Schülerinnen, die die 12. Klasse abgeschlossen haben, zu Lehrinnen aus. Es ist eine Notlösung, aber besser als gar keine Lehrerin für die Mädchen. Der Prozess hin zu mehr Bildung gehe eben langsam voran, meint die Präsidenten-Gattin Rula Ghani.
Ohne Zweifel hat er in Afghanistan jedoch längst begonnen – auch in den entlegensten Tälern und Dörfern des Landes. So darf heute auch die 18-jährige Gulbacht im Dorf Pechgah im Norden Afghanistans die Schule besuchen.
Meine Eltern fanden Bildung nicht wichtig. Deshalb liessen sie mich nicht zur Schule gehen und ich musste stattdessen unsere Kühe und Schafe hüten.
Als einige Familien vor ein paar Jahren begannen, ihre Mädchen in die Schule zu schicken und aus diesen später Hebammen und Lehrerinnen wurden, habe dies auch ihre Eltern überzeugt.
Gebildete Mädchen bedeuten mehr Einkommen, weil auch sie später arbeiten können. Das verstehen heute in Pechgah viele Eltern. Gulbacht steht noch heute um drei Uhr auf, holt Kohle, heizt ein, verrichtet das Morgengebet, knetet den Brotteig und bereitet das Frühstück zu. Den Morgen verbringt sie mit Stickarbeiten, aber am Nachmittag darf sie nun in die Schule.