Der Rabbiner Noam Hertig und der Imam Muris Begovic sitzen Seite an Seite und diskutieren, welche Folgen der Nahostkonflikt in der Schweiz hat. Sie sind Freunde. Im «Club» erzählen sie, dass es heute Mut brauche, miteinander befreundet zu sein.
SRF News: Sie fördern seit Jahren den Dialog zwischen muslimischen und jüdischen Jugendlichen und sind miteinander befreundet. Nun ist Krieg im Nahen Osten. Hat er Ihre Freundschaft verändert?
Muris Begovic: Der Krieg hat mit uns beiden etwas gemacht. Da sind auf beiden Seiten viele Emotionen. Deshalb mussten wir einen neuen Weg suchen, wie wir miteinander umgehen.
Noam Hertig: Der Krieg ist eine Probe für unsere Freundschaft. Weil wir uns schon kannten und über den Konflikt gesprochen haben, wusste ich aber, wie du, Muris, dazu stehst. Ich wusste, dass du kein Hardliner bist, und musste mich nicht fragen: Ist das nun jemand, der das Existenzrecht Israels anerkennt und die Massaker der Hamas unterstützt oder nicht?
Dieser Diskurs verlangt nach Positionierungen. Manche erwarten, dass Sie sich distanzieren – von den Hamas, von der israelischen Siedlungspolitik und vielleicht auch voneinander. Wie gehen Sie damit um?
Muris Begovic: Ich werde von allen Seiten genau beobachtet. Egal was ich sage, ich werde immer von jemandem in die Ecke gedrängt. Wenn ich aber nichts sage, wenn ich zum Beispiel die Attacke der Hamas nicht öffentlich verurteile, dann wird mir das auch zum Vorwurf gemacht. Ich muss sagen: Ich fühle mich ohnmächtig.
Noam Hertig: Und trotzdem finde ich, einen solchen Terror der Hamas, wie wir ihn am 7. Oktober erlebt haben, gilt es zu verurteilen. Ohne Wenn und Aber.
Muris Begovic: Das habe ich ja. Wir haben miteinander darüber gesprochen. Es ist wirklich sehr ermüdend: Immer wenn Muslime etwas machen, heisst es, ich soll mich davon distanzieren. Aber auf der ganzen Welt machen irgendwelche muslimische Gruppierungen irgendetwas. Warum muss ich als Imam die Position einer Seite einnehmen? Ich kann doch auch einfach für die Menschen da sein, ohne für oder gegen etwas zu sein.
Noam Hertig: Das verstehe ich. Aber damit der Konflikt nicht in die Schweiz importiert wird, ist es wichtig zu sagen: Das ist nicht in unserem Namen geschehen. Für mein Seelenheil und für meine Sicherheit ist es wichtig, das zu wissen: Die Mehrheit der muslimischen Menschen in der Schweiz lehnt den Hamas-Terror ab.
Gibt es ein Modell für die Schweiz, wie Juden und Muslime einander trotz des Krieges begegnen können?
Muris Begovic: Es ist schon so, wenn sich Juden und Muslime heute treffen, dann ist der Nahost-Konflikt der Elefant im Raum. Aber unsere Kinder gehen zusammen in die Schule – jüdische, muslimische, christliche oder atheistische Kinder. Natürlich kann man den Konflikt nicht ausblenden, aber ich frage mich doch, ob wir dem Thema so viel Platz geben müssen.
Noam Hertig: Ich denke, wichtig ist, dass wir eine Vertrauensbasis zwischen Juden und Muslimen schaffen – so, wie wir es mit unserem Projekt «Burger&Learn» mit Jugendlichen getan haben. So ist es einfacher, über den Nahost-Konflikt zu sprechen. Irgendwo müssen wir ja beginnen.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.