Kurz vor Jahresende haben China und die EU mit grosser Hektik eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit vereinbart, in einem sogenannten Investitionsabkommen. Es ist kein Freihandelsabkommen wie dasjenige der Schweiz mit China. Aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.
EU-Unternehmen erhalten erheblich besseren Zugang zum chinesischen Markt. Gleichzeitig rühmt sich die EU, man habe China dazu gebracht, seine Arbeitsbedingungen im Sinne der Standards der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu verbessern.
Blosse Lippenbekenntnisse?
«Da fragt man sich natürlich, wie die Europäer durchsetzen wollen, dass sich das alles verbessert», so SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi.
Die Erwartungen sind also gedämpft. Doch warum lässt sich Brüssel überhaupt auf vermeintliche Lippenbekenntnisse aus Peking ein? «Bei aller berechtigten Skepsis», relativiert SRF-Korrespondent Charles Liebherr, «wir wissen nicht, ob es bei Lippenbekenntnissen bleibt.» Denn in trockenen Tüchern ist das Abkommen noch nicht.
Erst in einigen Monaten wird das EU-Parlament darüber beraten. Zeit genug für China, den Versprechen auch Taten folgen zu lassen. «Alle gehen im Moment davon aus, dass das Abkommen nur in Kraft treten kann, wenn China seine Verpflichtungen gegenüber der ILO in Bezug auf Zwangsarbeit einhält», so Liebherr. Auf diese Weise wolle die EU China auf seine Versprechen behaften.
Seit sieben Jahren verhandelten die EU und China über das Investitionsabkommen. Nun wurde es noch ins Jahr 2020 reingedrückt – und das wenige Tage nach dem Durchbruch im mühseligen Scheidungsverfahren mit Grossbritannien.
Das Abkommen stört die Beziehungen zu den USA noch nicht. Das glauben zumindest die Verantwortlichen in der EU – die damit durchaus auch Selbstbewusstsein zeigen.
Der Korrespondent nennt zwei Gründe für die Brüsseler Hektik. Erstens: Deutschland hat noch bis zum 31. Dezember den EU-Ratsvorsitz inne. «Und wir wissen um die hohe Affinität der Bundeskanzlerin zu Wirtschaftsbeziehungen mit China. Die deutsche Autoindustrie lässt auch da grüssen.»
Die zweite Erklärung: Nach den US-Wahlen dürfte auch China eine Einigung mit der EU gesucht haben. Denn mit dem Sieg von Joe Biden steht zu vermuten, dass sich die EU wieder stärker den USA zuwenden wird. «Nach doch, nennen wir es mal ‹frostigen› vier Trump-Jahren», so Liebherr.
Dies wirft die Frage auf, warum die Europäer Trump nicht einfach «ausgesessen» haben, um dann die transatlantischen Handelsbeziehungen wieder zu stärken. Aus Brüsseler Diplomatenkreisen hörte Liebherr Erstaunliches: Das Investitionsabkommen mit Peking werde als Chance betrachtet, auch mit Washington ein neues Einvernehmen zu winden.
«Man wertet das Abkommen hier als gute Grundlage für anschliessende Gespräche mit den USA über eine abgesprochene China-Strategie», so der EU-Korrespondent. Denn: Das Abkommen ziele darauf ab, das Riesenreich stärker in internationale Handelsregeln einzubinden. Mithin, so die Hoffnung, könne damit auch die Rolle der Welthandelsorganisation WTO gestärkt werden.
Und: Beschlossen ist das Abkommen noch nicht. «Darum stört es die Beziehungen zu den USA noch nicht. Das glauben zumindest die Verantwortlichen in der EU – die damit durchaus auch Selbstbewusstsein zeigen.» Was bekanntlich gegenüber den Amerikanern auch nie schade, schliesst Liebherr.