Nach mehr als zwei Monaten des Protests hat das iranische Regime offenbar die Sittenpolizei aufgelöst. Also jene Polizei, die unter anderem kontrolliert, ob Frauen ein Kopftuch tragen und sich an die strengen Kleidervorschriften im Land halten. Karin Senz, ARD-Korrespondentin für Iran, erklärt im Gespräch, was der Entscheid für Auswirkungen haben könnte.
SRF News: Ist die Auflösung der Sittenpolizei ein Sieg für die Protestierenden in Iran?
Karin Senz: Ja – aber das Problem ist, dass es jetzt schon erste Diskussionen darüber gibt, ob die Sittenpolizei tatsächlich aufgelöst ist und damit auch deren Kompetenzen wegfallen. Der staatliche Fernsehsender Al-Alam hat gemeldet, dass kein offizieller Beamter die Auflösung dieser Sittenpolizei bestätigt habe. Das ist natürlich seltsam, wenn der Generalstaatsanwalt genau das verkündet hat.
Es zeigt aber auch, dass es darüber offensichtlich keine Einigung gibt. Auf der anderen Seite hören wir von Aktivisten, das sei ein Ablenkungsmanöver, eine Beruhigungspille, denn in den nächsten Tagen sind wieder grosse Proteste in Iran angekündigt.
Wenn diese Sittenpolizei tatsächlich aufgelöst wird, würde das überhaupt etwas ändern im Land, etwa betreffend Kleidervorschriften?
Das ist eben so nicht gesagt worden, im Gegenteil: Der Generalstaatsanwalt hat selber gesagt, dass man sich mit dem Verhalten der Gesellschaft auch weiter auseinandersetzen werde. Und das klingt wirklich nicht so, als wäre etwa die Kopftuchpflicht jetzt aufgehoben. Ich halte das auch ehrlich gesagt für unwahrscheinlich, denn die Kopftuchpflicht gehört praktisch zur Identität der Islamischen Republik und ist eine der wichtigsten Säulen des Landes.
Das klingt wirklich nicht so, als wäre die Kopftuchpflicht jetzt aufgehoben.
Es wurde auch angekündigt, dass ein Untersuchungsausschuss die Proteste untersuchen werde. Was lässt sich darüber sagen?
Das ist relativ überraschend und ungewöhnlich für den Iran, dass ein Untersuchungsausschuss einberufen wird. Allerdings sollen da jetzt keine Oppositionellen, keine Kritiker und keine Demonstrantinnen dabei sein. Es gab heute parallel auch noch eine Krisensitzung mit Präsident Ebrahim Raisi und verschiedenen Ministern. Da soll es auch um die Proteste gegangen sein.
Man versucht Mittel zu finden, um diese Proteste zu beruhigen.
Allerdings versucht man das nun so zu lenken, dass man sagt, die Proteste basierten auf wirtschaftlichen Problemen. Aber aus den vielen Parolen, die wir seit Beginn der Proteste gehört haben, wird klar, dass es den Demonstrierenden um sehr viel mehr geht, nämlich der Parole «Frauen, Leben, Freiheit». Da ist nicht von wirtschaftlichem Wohlstand die Rede. Aber man versucht offensichtlich, Mittel zu finden, um diese Proteste zu beruhigen und sie nicht blutig niederzuschlagen.
Wird dieser Untersuchungsausschuss und die Auflösung der Sittenpolizei die Situation beruhigen?
Danach klingt es nicht. Das hört man auch immer wieder. Und beispielsweise ein Tweet steht meiner Meinung nach dafür doch sehr sinnbildlich: Da wird geschrieben, man solle nicht die Sittenpolizei auflösen, sondern das Regime.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.