Bis Ende März muss ein Entscheid gefunden werden, wie die Briten künftig ausserhalb der EU leben und wirtschaften möchten. In Irland wird das Tauziehen um den Brexit aufmerksam verfolgt. Denn ein «No Deal» zwischen Brüssel und London hätte gravierende Folgen für das EU-Land, wie SRF-Korrespondent Martin Alioth erklärt.
SRF News: Wie sehr beschäftigt der Brexit die Menschen in der Republik Irland?
Martin Alioth: Durchgehend auf allen Kanälen. Im Alltag, im Beruf, überall. Der Brexit ist Spitzenthema und Sorge. Es herrscht das Bewusstsein, von den Briten in eine Kalamität verwickelt zu werden, zu der man nichts beigetragen hat. Das hat die Beziehungen zwischen Dublin und London – und zwischen Iren und Engländern – etwas vergiftet.
Irland wurde hart getroffen von der Finanzkrise 2007. Wie stark wäre die Wirtschaft tangiert, käme es zu keinem Deal zwischen London und Brüssel – einem «harten» Brexit?
Irland wäre wie kein zweites EU-Land von einem vertragslosen Zustand betroffen. England ist Transitbrücke für irische Exporte in die restliche EU. Man ist bereits dabei, zusätzliche Fährrouten zu entwickeln, die Grossbritannien umgehend und direkt nach Frankreich, Belgien, Spanien oder die Niederlande führen.
Es herrscht das Bewusstsein, von den Briten in eine Kalamität verwickelt zu werden, zu der man nichts beigetragen hat.
Und: Der grösste einheimische Wirtschaftssektor Irlands sind Nahrungs- und Genussmittel. Dabei sind die nächsten Märkte auch die grössten. Für Fleisch-, Milch-, Käseprodukte und weiteres drohen Einbrüche, wenn plötzlich Zölle anfallen. Oder wenn der britische Markt etwa für brasilianisches oder argentinisches Rindfleisch geöffnet wird. Die irische Regierung hat bereits für kleine und mittlere Betriebe einen Fonds eingerichtet, aus dem im Bedarfsfall Überbrückungskredite gesprochen werden können.
Wegen der Landwirtschaft fordert Irland für den Fall eines harten Brexits also auch Nothilfen von der EU?
Das wurde soeben vom irischen Landwirtschaftsminister erläutert. Ein Beispiel: Jährlich werden 80'000 Tonnen irischer Cheddar-Käse in Grossbritannien konsumiert. Andere Märkte dafür gibt es kaum. Die irische Molkerei-Wirtschaft müsste komplett restrukturiert werden, um Ersatzprodukte für solche typisch britischen Speisen zu finden. Während einer solchen Anpassungsperiode währen EU-Unterstützungsgelder wohl angebracht.
Auf diplomatischem Parkett ist die Regierung in Dublin nicht untätig. Premierminister Leo Varadkar war am Freitag in Deutschland. Was wollte er erreichen?
Es ist Teil einer gezielten diplomatischen Kampagne, die schon mit dem Brexit-Referendum begann. Ziel ist, sich in Europa neue Freunde zu schaffen und bestehende warm zu halten. Dass Varadkar ein Referat bei der Klausurtagung der bayrischen CSU hält, hat wohl damit zu tun, dass der nächste EU-Kommissionspräsident womöglich aus ihren Reihen kommen wird.
Der Brexit ist auch wegen der «Backstop»-Regel so verzwickt. Könnten die Iren nicht Hand bieten?
Das wird nicht geschehen. Es ist ein echtes Dilemma. Niemand hat mehr Interesse als Irland daran, dass der von der britischen Premierministerin Theresa May ausgehandelte Kompromiss mit der EU in Kraft tritt. Damit würde das meiste beim alten bleiben, was im irischen Interesse liegt.
Nur: Der «Backstop», der die Grenze unsichtbar halten und den Friedensprozess in Nordirland garantieren soll, gehört dazu. Er ist ein primäres irisches Interesse. Dublins Bestehen auf diese Lösung wird wohl dazu führen, dass der Kompromiss im britischen Unterhaus scheitert. Dann droht der vertragslose Zustand.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.