Am vergangenen Wochenende haben islamistische Milizen aus Syrien einen grenzübergreifenden Angriff auf die libanesische Stadt Arsal begonnen und unter anderem ein Militärlager angegriffen. Die Kämpfe schlugen Tausende libanesische Bewohner der Region in die Flucht. Das libanesische Militär bezeichnete die Angreifer als eine der Al-Nusra-Front zugehörige Miliz, die ihrerseits der Al-Kaida nahesteht. Offenbar waren auch Extremisten des Islamischen Staates (IS) an den Kämpfen beteiligt.
Kämpfe in und um ein Flüchtlingslager
Die Angriffe erfolgten, nachdem libanesische Soldaten am Samstag den syrischen Islamisten Imad Ahmed Dschumaa festgenommen hatten. Laut der Armee gab er zu, der Al-Nusra-Front anzugehören. Daraufhin hätten wütende Anhänger Dschumaas mehrere Armeeposten in der Region umzingelt und eine Polizeiwache gestürmt. In der Folge verlagerten sich die Kämpfe um und in ein Flüchtlingslager beim Grenzort Arsal.
Die Stadt auf libanesischem Gebiet bietet zehntausenden syrischen Flüchtlingen Asyl. Libanesische Medien schätzen, dass derzeit durch die Gefechte bis zu 40'000 Zivilisten und rund 120'000 syrische Flüchtlinge in der Region eingeschlossen sind. Über 100 syrische Flüchtlinge seien bei den Schiessereien getötet worden, hiess es von der der syrischen Opposition nahe stehenden Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London.
Islamistische Kämpfer brauchen Nachschub
«Das erste Ziel der islamistischen Kämpfer ist es, ihre Stellungen im Grenzgebiet zu Syrien zu sichern», stellt Achim Vogt gegenüber SRF fest. Er leitet das Büro der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. Ohne sicheres Gebiet könne der Nachschub nach Syrien nicht gewährleistet werden. Die Islamisten kämpfen dort gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. Deshalb sei es zu den Kämpfen mit der libanesischen Armee gekommen, welche ihrerseits versuche, die Hoheit über die Stadt Arsal wiederzuerlangen.
Inzwischen wurde ein Waffenstillstand ausgehandelt. Diesen haben libanesische sunnitische Geistliche vermittelt, wie Vogt erklärt. Die Vereinbarung sehe vor, dass die islamistischen Kämpfer innert Stunden nach Syrien abziehen. Kurzfristig sei also eine Lösung in Sicht. Allerdings: «Die langfristigen Folgen der Kämpfe kann man noch nicht abschätzen; viel wird von der politischen Entwicklung in den nächsten Monaten abhängen», ist sich Vogt sicher.
Libanon droht zerrissen zu werden
Tatsächlich bestehe die Sorge, dass der IS auch eine Offensive gegen Libanon starten könnte: «Die libanesische Armee ist nicht in der Lage, einem Vordringen der IS-Kämpfer Einhalt zu gebieten.» Laut Vogt wäre allenfalls die schiitische Miliz Hizbollah stark genug, die Terroristen aufzuhalten.
Es gebe auch Bemühungen von libanesischen Politikern aus traditionell verfeindeten Lagern, im Kampf gegen den islamistischen Extremismus einen gemeinsamen Nenner zu finden. Doch: «Ob das gelingt, ist eine offene Frage», sagt der Vertreter der Ebert-Stiftung im Libanon. Das Land habe seit Mai keinen Staatspräsidenten mehr, die Parlamentswahlen seien seit Juni 2013 überfällig. Deshalb seien die wichtigsten politischen Institutionen Libanons gar nicht handlungsfähig.
Ausserdem drohe auch im Libanon der schwelende Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten wieder auszubrechen. «Die grösste Gefahr kommt im Moment aus dem Land selber», so Vogt.