- Bei der Gouverneurswahl in der indonesischen Hauptstadt Jakarta kommt es im April zu einer Stichwahl.
- Prognosen zufolge liegt Amtsinhaber Basuki Tjahaja Purnama nach dem ersten Wahlgang vorn, verfehlt aber die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent.
- Zur Stichwahl tritt der Christ mit chinesischen Wurzeln gegen Anies Baswedan an, der als Kandidat radikaler Muslime gesehen wird.
- Die Wahl ist auch deshalb interessant, weil sich Basuki derzeit wegen angeblich islamfeindlicher Äusserungen vor Gericht verantworten muss.
- Ihm wird vorgeworfen, im Wahlkampf den Koran beleidigt zu haben.
Zehntausende Muslime kamen am letzten Samstag bei der Istiqlal Moschee in Jakarta zu einem Massengebet zusammen. Schnell war klar, dass die meisten nicht wegen ihres Seelenfriedens, sondern aus politischen Gründen dort waren.
Als Muslime müssen wir einen muslimischen Anführer wählen. So schreibt es der Koran vor.
Der jetzige Gouverneur Basuki sei eine Beileidigung «für unsere Religion», meint Umar weiter. Wegen seines beachtlichen Leistungsausweises war Amtsinhaber Basuki für seine Gegner im hitzigen Wahlkampf lange Zeit kaum angreifbar. Im September lieferte er ihnen dann die Munition, auf die sie schon lange gewartet hatten.
Angeklagt wegen Blasphemie
An einer Medienkonferenz warf Basuki ihnen vor, den Koranvers Almaidah gegen ihn einzusetzen, der Muslimen nahelegt, keine Andersgläubigen zu ihren Führern zu wählen. Seine Gegner, allen voran die Hardliner-Gruppe der «Islamischen Verteidigungsfront», bliesen zu Protesten gegen die angebliche Verunglimpfung des Islams.
Der Gouverneur, der seine Wahl bereits auf sicher geglaubt hatte, wurde Ende Dezember vor Gericht gezerrt und wegen Blasphemie angeklagt. Falls er verurteilt wird, würde das eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bedeuten.
Konkurrent Baswedan profitiert
Der Mann, der politisches Kapital aus der Affäre gezogen hat, ist Anies Baswedan, ein Muslim. Der Mitvierziger war bis im vergangenen Sommer nationaler Bildungsminister. Jetzt kandidiert er auch für das Amt des Gouverneurs von Jakarta.
Für den Schlamassel sei Basuki selbst verantwortlich, betont Baswedan:
Ich wünschte, Basuki hätte diese Kommentare nie gemacht, dann hätten wir das Problem nicht. Es ist ein heikles Thema: Vermeide es!
Doch es ist Baswedan, der von Basukis Blasphemie-Problem profitiert. Seine Anhängerschaft hat sich vergrössert und damit auch seine Chancen, gewählt zu werden. Wie alle Kandidaten verspricht Baswedan, das Bildungssystem und die Infrastruktur zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen.
Mit Islamisten verbandelt
Er zeigt sich regelmässig mit muslimischen Hardlinern und hat auch an den Massengebeten und Demonstrationen gegen Basuki teilgenommen. Setzt das, in einem Land, das sich bislang vor allem durch religiöse Toleranz ausgezeichnet hat, nicht ein falsches Zeichen? Wahlen, so Baswedan, drehten sich immer um zwei Aspekte, nämlcih Identität und Kompetenz:
Es ist nicht falsch, wenn Wähler sagen, wir wollen jemanden, der eine ähnliche Identität hat.
Im Falle von Baswedan ist das eine muslimische Identität. Das macht vor allem den Minderheiten Angst. Am Dienstagabend versammelte sich deshalb eine kleine Gruppe von Trans- und Homosexuellen vor einem Kulturzentrum, um für Freiheit und Gleichheit aller zu demonstrieren. Viele von ihnen sehen beides bedroht im Fall eines Siegs von Baswedan. Dann, so die transsexuelle Demonstrantin Cansafina, bekämen die islamischen Hardliner mehr Macht:
Die wollen alles aus dem Weg räumen, was nicht in ihr Weltbild passt, alle die nicht ihren Glauben vertreten.
Indonesien am Scheideweg
Die Gouverneurswahlen in Jakarta werden zeigen, was die Bewohner höher schätzen: eine von religiösen Hardlinern instrumentalisierte Politik, oder eine Stadt, die trotz einer muslimischen Mehrheit Platz für alle hat.
Die Wahl ist ein Gradmesser dafür, in welche Richtung sich Indonesien bewegt, und sie wird auch für die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren richtungsweisend sein.