Die Schweiz vermittelt in einem jahrzehntealten innerkamerunischen Konflikt. Dieser spielt sich mehrheitlich entlang der Sprachgrenze ab. Auf der einen Seite steht die französischsprachige Regierung, auf der anderen Seite die englischsprachige Minderheit. Laut Anna Lemmenmeier, SRF-Afrika-Korrespondentin, geht es dabei um mehr als die sprachliche Diskriminierung.
SRF News: Worum geht es bei diesem innerkamerunischen Konflikt?
Anna Lemmemmeier: Es geht um die Benachteiligung der englischsprachigen Bevölkerung. Sie macht rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Es ist eine relativ grosse Minderheit. Seit Jahrzehnten fordert sie mehr Rechte.
Das überproportionale Durchgreifen und das gleichzeitige Verweigern des Dialogs war der Auslöser für die Radikalisierung.
Präsident Biya regiert Kamerun seit 37 Jahren und hat in dieser Zeit nicht einmal eine Ansprache auf Englisch gehalten. Er ist auch nie auf die Anliegen der Anglofonen eingegangen. Vor drei Jahren haben Anwälte und Lehrer im englischsprachigen Westen demonstriert. Sie forderten, dass das Gesetz ins Englische übersetzt wird. Biya duldete die Demonstrationen nicht und schickte das Militär. Dieses tötete mindestens 100 Demonstrierende. Das überproportionale Durchgreifen und das gleichzeitige Verweigern des Dialogs war der Auslöser für die Radikalisierung in den englischsprachigen Gebieten.
Wie äussert sich diese Benachteiligung im Alltag?
Ich habe den Eindruck, dass es ein ganz ausgeprägtes Grundgefühl der Benachteiligung ist, das über Jahrzehnte gewachsen und schwierig in Worte zu fassen ist. Ein kamerunischer Professor sagte mir, wenn du einen Job kriegst, dann geben dir die Frankofonen immer das Gefühl, du hast ihn nicht gekriegt, weil du der Beste bist, sondern weil sie dir nur einen Gefallen tun.
Sobald man mit den Behörden zu tun hat, muss es auf Französisch sein – auch wenn Kamerun offiziell ein zweisprachiges Land ist.
Es gibt es aber auch Offensichtliches: Nur mit Englisch kommt man in Kamerun schlicht nicht durch. Sobald man mit den Behörden zu tun hat, muss es auf Französisch sein – auch wenn Kamerun offiziell ein zweisprachiges Land ist. Das Schul- und das Justizsystem sind auf dem französischen System aufgebaut. Und es fliesst auch viel weniger Geld in die anglofonen Regionen. Das zeigt, dass dieser Konflikt nicht abgegrenzt ist, sondern dass er mit dem ganzen Land zu tun hat, mit der Krise um den 86-jährigen Diktator Biya.
Wie hat sich die Lage seit den blutigen Unruhen Ende 2016 entwickelt?
Es hat sich zu einem grauenhaften Konflikt zwischen den bewaffneten Separatisten und den Regierungssoldaten ausgeweitet. Darunter gelitten hat vor allem die Zivilbevölkerung. Mittlerweile sind mindestens 2000 Personen ums Leben gekommen; mehr als 500'000 Menschen mussten fliehen. Die Gräueltaten, die von beiden Konfliktparteien begangen worden sind, sind furchtbar. Leute wurden regelrecht exekutiert, zerstückelt, vergewaltigt.
Nun vermittelt die Schweiz zwischen Kameruns Regierung und der Opposition. Was ist nötig, damit diese Annäherung funktionieren kann?
Es ist fraglich, wer hier eine Annäherung sucht. Ich habe mit verschiedenen Aktivisten, NGOs und Leuten aus der Zivilbevölkerung in den englischsprachigen Gebieten gesprochen. Alle sagten, sie könnten nichts anfangen mit diesem Vermittlungsversuch in der Schweiz.
Es hat noch nie einen Dialogversuch in Kamerun gegeben. Und nun gibt es einen in der Schweiz, aber niemand weiss, wer daran teilnimmt. Aus ihrer Sicht müsste das Ganze viel breiter ausgerichtet sein: Man könne nicht nur mit den Separatisten reden. Man müsse auch die Zivilbevölkerung einbeziehen. Und auch die Kirche ist eine ganz wichtige Vermittlerin in diesem Konflikt.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.