Bei den Arbeiten in der Atom-Ruine im japanischen Fukushima kommt es zu Verzögerungen. Konkret geht es um die Bergung von abgebrannten Brennstäben bei zwei der drei zerstörten Reaktoren.
Die Regierung und der Betreiberkonzern Tepco haben jetzt den Beginn dieser Bergungsarbeiten um weitere drei Jahre verschoben. «In Japan gibt das nicht viel zu reden» – das sagt der Journalist Martin Fritz in Tokio. Denn: «Das Thema Fukushima wird verdrängt».
SRF News: Woran machen Sie das fest, dass das Thema verdrängt wird?
Martin Fritz: Im japanischen Alltag sprechen die Leute gar nicht mehr darüber. Das gilt auch für Zeitungen und Fernsehen. Man merkt davon nur noch im Supermarkt. Da sind Lebensmittel aus Fukushima, wie die berühmten Pfirsiche, immer noch billiger als die aus anderen japanische Regionen. Die Kunden haben wegen der Strahlung immer noch Misstrauen gegenüber diesen Lebensmitteln. Obwohl sie vorher gründlich überprüft werden.
In Japan sind wieder 5 Atomkraftwerke in Betrieb – bis 2025 sollen 18 Atomkraftwerke wieder am Netz sein: Ist die Skepsis gegenüber der Atomkraft in Japan verflogen?
In Umfragen ist die Mehrheit der Japaner weiter gegen Atomkraft eingestellt. Das ändert aber nichts am Prozess, der seit einigen Jahren läuft: Nachdem die Reaktor-Betreiber die Sicherheitslagen vorschriftsmässig nachgerüstet haben, beantragen sie neue Betriebsgenehmigungen. Diese bekommen sie nach einiger Zeit auch. In 10 Jahren könnten deshalb, Schätzungen zufolge, wiederum die Hälfte der über 40 Atomkraftwerke Strom liefern.
Das Energieunternehmen Tepco, das verantwortlich war für Fukushima, betreibt aber weiterhin keine eigene Atomkraftwerke mehr. Da bleibt die Skepsis also noch gross?
Ja, Tepco hat ausser diesen sechs stillgelegten Meilern in Fukushima noch elf andere Reaktoren. Zwei davon sollen jetzt eine vorläufige Betriebserlaubnis bekommen. Das hat die Atomaufsicht heute angekündigt. Allerdings hat sie ein zusätzliches Versprechen von Tepco für die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften und die Zustimmung der Regierung verlangt. Es gibt also noch Misstrauen in die Eignung von Tepco. Und bis diese Tepco-Meiler tatsächlich laufen, werden wohl noch einige Jahre vergehen.
Nach der Atomkatastrophe wurde im Umkreis von 40 Kilometern der havarierten Atomkraftwerke eine Sperrzone eingerichtet. Jetzt will die Regierung die Leute wieder zurückschicken. Gehen die Leute auch?
Die Rückkehrquote war bisher sehr niedrig. In der Stadt Naraha zum Beispiel, die seit zwei Jahren offen ist, beträgt sie etwa 20 Prozent. Und die Hälfte aller Rückkehrer in die Sperrzone ist über 65 Jahre alt. Die meisten Familien mit kleinen Kindern bleiben weg. Sie wollen einfach kein Strahlenrisiko eingehen. Sie verlieren dann zwar die Unterstützung von umgerechnet 870 Franken im Monat durch Tepco und müssen woanders ganz neu anfangen, aber dort können sie ohne gesundheitliche Ängste leben.
Weite Teile der Sperrzone wurden dekontaminiert – verstrahlte Erde wurde zum Beispiel abgetragen. Sind diese Gebiete damit wirklich wieder bewohnbar?
Ich bin selbst mehrmals dort gewesen. Überall stehen grosse Strahlungsmesser mit grosser Anzeige. Die angezeigten Werte sind, auch wenn man sie aufs Jahr hochrechnet, unbedenklich – gemäss den offiziellen Empfehlungen. Aber letztlich sind diese Werte willkürlich gewählt. Es gibt keine Garantie dafür, dass man dabei gesund bleibt. Also je jünger ich bin, desto grösser ist das Risiko einer Langzeit-Verstrahlung. Und viele ehemalige Bewohner von Fukushima wollen dieses Risiko, so klein es sein mag, einfach nicht eingehen.
Zusammengefasst also: In Japan redet man kaum mehr über die Atomkatastrophe. Mit den Folgen kämpft das Land aber noch sehr stark und vor allem noch lange.
Ja, es wird mindestens noch bis 2050/60 dauern bis die Atomkraftwerk-Ruinen in Fukushima abgebaut sein werden. Das zeigen jetzt die neuen Verzögerungen. Und es werden auch viele Milliarden dafür ausgegeben werden. Das Projekt der Sanierung läuft also weiter. Aber der Grossteil der Japaner wird davon kaum Kenntnis nehmen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.