Der kleine, drahtige und inzwischen über 80-jährige Yasushi Akashi im blauen Anzug bittet zum Tee in seinem altmodischen Büro im International House in Tokio. Er spricht leise, bedächtig, aber bestimmt. Und er äussert sich weit undiplomatischer, als er das früher in seiner jahrzehntelangen diplomatischen Karriere tat.
Er war UNO-Vizegeneralsekretär für Humanitäres, später für Information, dann für Abrüstung. Er galt als vorsichtig, als zögerlich. Ebenso setzte er sich als UNO-Sonderbeauftragter im Jugoslawienkrieg, als Friedensvermittler in Kambodscha, als Chefunterhändler in Sri Lanka ein. Er tat dies kompetent, engagiert, unauffällig.
Heute nimmt er kein Blatt mehr vor den Mund. Etwa wenn er den Europäern vorwirft, Ostasien naiv zu betrachten. Sie sähen die Region lediglich als riesigen Markt und blendeten dabei die Probleme aus, die ein aufstrebendes, immer aggressiver auftretendes China verursache.
Argloser Umgang mit dem roten Riesen
Akashi ist keineswegs im Ruhestand. Er berät noch immer Japans Regierung in Sachen Friedensförderung, er leitet ein japanisch-amerikanisches Freundschaftsprojekt, er präsidiert politische Ausschüsse, die sich mit Tokios Verhältnis zu Peking und Seoul befassen. Und er lehrt als Professor internationale Politik.
Sein Wort hat Gewicht. Chinas wachsende Potenz verängstige die Menschen in Asien. Zurzeit reize China seine neue Macht aus, provoziere mit seinem maritimen Expansionsstreben. Doch die Antwort darauf könnten weder Empörung noch Fatalismus sein. Man müsse den politischen und militärischen Dialog mit China intensivieren und dem Land zugleich seine Grenzen aufzeigen.
Nordkorea mit der Atombombe vor der Haustür
Klare Worte erhofft er sich deshalb vom aktuellen G7-Gipfel. Weise man die Führung in Peking in die Schranken, rücke sie ab vom gegenwärtigen Abenteurertum, stoppe die Aufschüttung künstlicher Inseln und die provokativen Militäreinsätze. Denn letztlich seien die Chinesen Realisten. Sie gingen nur so weit, wie man sie gehen lasse. China trete nicht mutwillig einen veritablen Krieg los.
Weitaus unberechenbarer sei indes Nordkorea mit seinen Atombomben. Pjöngjang verängstige die Japaner gar noch mehr als China. Schliesslich liegt das Land vor der Haustür. Aber sogar hier glaubt Akashi an Wandel. Er glaube daran, dass sich das Kim-Regime irgendwann reformiere, dass ein Ende mit Schrecken vermieden werden könne. Natürlich wäre das ein Wunder, sagt er schmunzelnd. Aber in der Politik gebe es gelegentlich Wunder.
US-Präsident Trump – Japans fleischgewordener Alptraum?
Kein Wunder wäre für ihn hingegen, vielmehr eine Tragödie, wenn in den USA Donald Trump Präsident würde. Die USA garantieren zurzeit Japans Sicherheit. 40‘000 US-Soldaten sind auf der Insel stationiert. Die eigene Armee ist schwach. Ein völlig unberechenbares Amerika wäre für Japan ein Alptraum. Und mit einem Donald Trump wäre Tokios wichtigster Partner unberechenbar. Der Mann wisse weder, was er wolle, noch was er denke.
Akashi sieht daher für Japan gute, ja zwingende Gründe, aussen- und sicherheitspolitisch entschiedener aufzutreten und militärisch aufzurüsten. Zwar nicht dermassen, betont er, dass die Nachbarn kopfscheu würden. Aber genug, damit sich Japan selber verteidigen könnte.
Schulterschluss mit den Westmächten
Genau das wolle Premierminister Shinzo Abe. Der Spitzendiplomat weiss aber auch, dass die grosse Mehrheit der Japaner dies ablehnt. Der Pazifismus bleibt populär. Allerdings hingen viele seiner Landsleute einer Illusion an, wenn sie Japan als asiatische Schweiz sähen. Sie übersähen dabei nämlich, dass die neutrale Schweiz immer eine potente Armee besessen habe.
Yasushi Akashi ist unabhängig genug, den Regierungschef nicht nur zu loben. Er verstehe, dass viele Shinzo Abe misstrauten wegen seiner familiären Vergangenheit und seiner Verankerung im nationalistischen Lager. Aber er hält Abe zugute, dass er endlich aufgehört habe, den umstrittenen Yasukuni-Schrein zu besuchen. Dort wird auch der übelsten japanischen Kriegsverbrecher gedacht. Japan müsse während des G7-Gipfels der Weltöffentlichkeit signalisieren: Wir sind wieder wer, wir melden uns zurück auf der Weltbühne, sagt Akashi.
Sein Land sei die einzige marktwirtschaftliche, liberale Demokratie in Asien. Als solche fühle es sich ziemlich allein. Es brauche also den engen Schulterschluss mit den westlichen Mächten, wie ihn die G7 böten. Und es müsse zugleich selber entschiedener auftreten in der Welt.