«Der Jemenkrieg dauert schon länger als der Erste Weltkrieg», sagt die ehemalige jemenitische Diplomatin Jamila Ali Rajaa. Selbst Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die mächtigen Nachbarn, welche vor fünf Jahren den Bombenkrieg gegen die Huthi-Rebellen begannen, seien im Grunde kriegsmüde, ist sie überzeugt.
Ende März 2015, noch als saudischer Verteidigungsminister, trommelte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman eine regionale Militärkoalition gegen die Huthis zusammen. In Feldherrenmanier wollte er auf dem Weg an die Staatsspitze seine Tatkraft demonstrieren.
Milliardenteures Debakel
In wenigen Wochen würden die Huthis aus der Hauptstadt Sanaa vertrieben und die international als «legitim» anerkannte Regierung von Präsident Abd Rabu Mansur Hadi zurück an der Macht sein, versprach der starke Mann der mächtigen Ölmonarchie damals.
Doch bin Salmans vermeintliches «Husarenstück» wurde zum milliardenteuren Debakel: Die von den Saudis gestützte Regierung Hadi ist fünf Jahre später noch schwächer als zu Kriegsbeginn. Die Bilder der Zerstörung und des Leids aus Jemen haben dem Könighaus in Riad und seinen westlichen Waffenlieferanten schweren Reputationsschaden gebracht.
Was fehlt, sei ein «gesichtswahrender» Ausweg für die Saudis, um das Debakel einzugestehen, sagt auch Peter Salisbury, der die Situation in Jemen für den Thinktank International Crisis Group analysiert. Es bräuchte dazu auch ernsthaften internationalen Druck.
Noch vor Kurzem hatte es den Anschein gemacht, als sei Entspannung in Sicht. Der spektakuläre Angriff im letzten Herbst auf seine wichtigsten Ölproduktionsanlagen führte Saudi-Arabien auf eindrückliche Weise vor, wie verletzlich es ist, ungeachtet seines unbeschreiblichen Reichtums und seiner amerikanischen Präzisionswaffen.
Am Königshof wurden daraufhin die Zuständigkeiten für Jemen neu geregelt: Thronfolger Mohammed bin Salman übergab die Verantwortung für den kostspieligen Krieg seinem jüngeren Bruder Khalid.
In Jemen selbst versuchten die Saudis Ordnung in die Reihen ihrer zerstrittenen Verbündeten zu bringen. So sollte ein «Abkommen von Riad» insbesondere den Konflikt zwischen der Regierung Hadi und den südjemenitischen Separatisten beenden, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt werden.
Saudi-Arabien begann gleichzeitig die Fühler sogar direkt Richtung Feind auszustrecken, erste zaghafte Gespräche mit den Huthis fanden statt.
Neue Offensive im Norden
Drei Monate später stehen die Zeichen wieder auf Konfrontation. Im Norden entwickelte sich seit Januar eine Grossoffensive der Huthis. Von deren Erfolg seien die Rebellen selber überrascht worden, sagt Peter Salisbury von der Crisis Group.
Die Offensive drohe nun auch die Provinz Marib mit der gleichnamigen Hauptstadt zu erfassen, sagt Salisbury. Dort könnten die Huthis lukrative Gas- und Ölvorkommen unter ihre Kontrolle bringen und der Regierung Hadi auch psychologisch einen weiteren schweren Schlag zufügen.
Marib ist im nördlichen Jemen die letzte Bastion der Regierungskräfte, die von den Saudis unterstützt werden. Aber es ist auch ein wichtiger Zufluchtsort für Vertriebene.
Neue Kämpfe brächten noch mehr Leid für die Bevölkerung. Schon jetzt wurden durch den Jemenkrieg nach manchen Darstellungen mehr als 100'000 Menschen getötet.
Saudis und Huthis redeten zwar noch miteinander, aber viel weniger, sagt Peter Salisbury. Mit dem Aufflammen der Kämpfe im Norden sei «das Misstrauen wieder stark gewachsen».
Regierung ohne Rückhalt
Auch nach fünf Jahren kontrollieren die Rebellen aus dem Norden die Hauptstadt Sanaa und ein Gebiet, in dem zwei Drittel der Bevölkerung leben – die Huthis haben inzwischen auch Raketen und Drohnen.
Der Bombenkrieg der Saudis hat die einstigen Stammeskämpfer immer stärker in die Arme des regionalen Rivalen Iran getrieben.
Sie sind straff organisiert, während die Regierungsseite in diverse Milizen mit unterschiedlichen Interessen zerfällt. Präsident Hadis Legitimation basiert hauptsächlich noch darauf, dass seine Regierung international anerkannt ist. Im Land selbst fehlt ihm vergleichbarer Rückhalt.
Selbst das «Abkommen von Riad» mit den separatistischen Kräften im Süden scheint bereits wieder Makulatur. Die Vereinigten Arabischen Emirate, die 2015 gemeinsam mit den Saudis die Militärkoalition anführten, verfolgen mit ihren lokalen Verbündeten in Jemen eine eigene Agenda.
Das Problem sei nicht, die Huthis an den Verhandlungstisch zu bringen. Das Problem sei, dass sie das nur täten unter der Bedingung, dass ihr tatsächliches Gewicht in Jemen anerkannt werde, ist Salisbury überzeugt.
Doch trotz ihrer Schwäche spricht die Regierung Hadi den Huthis noch immer jede Legitimation ab.
Krieg verändert die Gesellschaft
Der Jemenkrieg hat in fünf Jahren enormes Leid über das Land gebracht. Er verändert auch die jemenitische Gesellschaft, bis hin zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern.
Das sagt die jemenitische Wirtschaftswissenschaftlerin Shams Shamsan, die das Thema in einer Studie untersucht hat.
Shams Shamsan kam nach ihrem Studium in der libanesischen Hauptstadt Beirut vor zwei Jahren in ein völlig verändertes Sanaa zurück. «Es war ein Schock für mich», sagt sie, wie sehr die Stadt, das Land, vom Krieg gezeichnet waren, mit einer neuen Generation, die keine Erinnerung an ein Jemen ohne Bombenangriffe, Strassenblockaden, und wirtschaftliche Not hat.
Der Konflikt hat Profiteure hervorgebracht, die grosse Mehrheit der Bevölkerung aber leidet. Die Wirtschaft ist zusammengebrochen, der Kurszerfall macht vieles unerschwinglich, Staatsangestellte erhalten ihre Löhne nur noch unregelmässig oder gar nicht.
«Die Frauen mussten handeln»
Millionen Männer verloren ihre Stelle und damit auch ihre Position und ihr Selbstverständnis als Ernährer, viele gingen an die Front – auch in der Hoffnung auf ein neues Auskommen.
Unter diesen Bedingungen «hatten die Frauen keine andere Wahl als zu handeln», sagt Shams Shamsan, Mitautorin einer Studie, welche die Folgen der gesellschaftlichen Zerrüttung auf die «Ordnung der Geschlechter» untersucht.
Die Not zwang die Frauen in Aufgaben hinein, die in der stammesgeprägten Gesellschaft Jemens bisher Männern vorbehalten waren. Shamsan und ihr Team reisten durchs Land so weit das ging. Sie trafen in verschiedenen Landesgegenden Frauen, die im öffentlichen Raum aktiv wurden, kleine Geschäfte eröffneten, Selbstgebackenes in den Strassen feilbieten, als Coiffeusen arbeiten, in Restaurants. Sie trafen Männer, die sich plötzlich vorstellen können, eine Frau zu heiraten, die arbeitet – und sei es nur, weil so mehr Geld in den Haushalt kommen könnte.
Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Shams Shamsan selbst wagt zu hoffen, dass sich die Frauen in Jemen so dauerhaft mehr Raum erkämpft haben.
Hardliner fühlen sich ermutigt
Allfälligen neuen Perspektiven stehen die materielle Not und die Verrohung der Sitten nach fünf Jahren Krieg entgegen, deren Opfer ebenso sehr Frauen sind. Hinzu kommt, der Konflikt hat islamistische Strömungen gestärkt, was den Spielraum der Frauen wieder einengt.
Die Huthi-Rebellen etwa krempeln in ihrem Herrschaftsgebiet die Lehrpläne um, weil sie ihnen nicht fromm genug erscheinen. Auch anderswo fühlen sich religiöse Hardliner dadurch ermutigt.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin sagt, sie werde inzwischen regelmässig an Checkpoints angehalten und gefragt, warum sie ohne «Aufpasser» aus der Familie unterwegs sei.