Worum geht es? Im Sechstagekrieg von 1967 hatte Israel Ost-Jerusalem von Jordanien zurückerobert und damit Kontrolle über die ganze Stadt erlangt. Das feiern junge Israelis seit Jahrzehnten mit einem Umzug durch die Altstadt. Die Route des Umzugs führt vom Damaskustor – dem Eingang zum muslimischen Viertel der Altstadt – zur Klagemauer. Dort ist die Stimmung nach der Gewalt der letzten Tage jedoch so angespannt, dass die Sicherheitskräfte vor einer Durchführung des Umzugs gewarnt hatten.
Wie ist die momentane Lage? Jugendliche – viele davon aus jüdischen Siedlungen – ziehen singend durch die Altstadt Jerusalems und provozieren dabei die arabische Bevölkerung. Zu gewalttätigen Zusammenstössen kommt es zwar jedes Jahr. In diesem Jahr ist die Lage jedoch noch angespannter als sonst. Jüdische Siedler und langjährige palästinensische Bewohner der Altstadt machen sich gegenseitig Häuser streitig im Sheikh-al-Jarrah-Quartier. Eine Gerichtsanhörung, die hätte stattfinden sollen, wurde kurzfristig verschoben.
Was waren Auslöser für die Gewalt? Die Wut der arabischen Bevölkerung über eine mögliche Vertreibung der palästinensischen Bewohnerinnen und Bewohner war ein Auslöser. Weiter hatten israelische Sicherheitskräfte ausgerechnet während des Ramadans das Areal der Al-Aqsa-Moschee gestürmt und viele verletzt, die nicht an den Demonstrationen beteiligt waren – auch Kinder.
Zudem hatte die Polizei das Damaskustor – ein beliebter Treffpunkt palästinensischer Jugendlicher – zu Beginn des Ramadans verbarrikadiert, was zu Ausschreitungen führte. Und: In den letzten Wochen machten radikale arabische und jüdische Jugendliche regelrecht Jagd aufeinander.
Wieso ist die Situation kritisch? Die Lage ist so explosiv, dass sich selbst der UNO-Sicherheitsrat mit der Gewalt in Jerusalem befassen will. Diese ist in den letzten Tagen auf andere Städte Israels und auf die besetzten palästinensischen Gebiete übergeschwappt – eine Gewaltwelle, die Extremisten auf beiden Seiten des Konflikts auszunutzen versuchen.
Wie reagieren andere Länder? Die muslimische Welt reagiert scharf auf die anhaltenden Zusammenstösse in Jerusalem. So hat die Arabische Liga für diesen Montag eine Sondersitzung angekündigt. Länder wie zum Beispiel Bahrain oder die Vereinigten Arabischen Emirate geben Israel die Schuld an der Eskalation zwischen Palästinensern und Sicherheitskräften.
Besonders scharfe Rhetorik wählte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, obwohl sein Land zuletzt versuchte, die Beziehungen zu Israel zu verbessern. Er bezeichnete Israel wegen der Unruhen als «Terrorstaat».
Was bezweckt Erdogan mit seinen Aussagen? «Er spricht damit vor allen Dingen seine islamistischen Anhänger in der Türkei an», erklärt Thomas Seibert, freier Journalist in Istanbul. Erdogan präsentiere sich seit langem als eine Art «inoffizieller Sprecher aller unterdrückten Muslime auf der Welt» und stehe diesbezüglich unter Druck. Zur Unterdrückung der Uiguren in China habe er sich bisher nämlich nicht geäussert. Der Grund: «Erdogan will die Beziehungen zu China auf keinen Fall gefährden.» Die Annäherung an Israel hingegen sei noch nicht weit gediehen. «Er hat also nicht viel zu verlieren.»