Dieses Jahr wurden bereits mehr als 170 Sprengstoffanschläge in Schweden verübt. Am vergangenen Wochenende explodierte beispielsweise vor der Polizeiwache in Staffansdorp in Südschweden ein Sprengsatz. Dabei wurde niemand verletzt. Hinter den Taten werden organisierte Banden vermutet. Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann erhellt die Hintergründe.
SRF News: Wer sind diese Banden und was wollen sie mit den Anschlägen erreichen?
Bruno Kaufmann: Man weiss, dass es viele kleine organisierte Netzwerke sind. In Schweden zählt man etwa hundert solche organisierte Banden. Sie operieren vor allem in und um die grossen Städte herum. Es geht um Geld und um Ehre. Mit diesen Anschlägen möchte man vor allem andere Banden, aber auch die Öffentlichkeit einschüchtern.
Die Gewalt entstehe in den Vorstädten, heisst es in Schweden. Warum sind die Vorstädte ein Problem?
Die Leute in den Vorstädten sind die grossen Verlierer der letzten Jahrzehnte. Die Vorstädte wurden sehr schnell in den sechziger und siebziger Jahren auf der grünen Wiese gebaut, als Schweden zu einer industriellen Grossmacht wurde und viele Arbeitskräfte brauchte. Später setzte eine Entindustrialisierung ein.
Wenn man eine Vorstadt besucht, ist das völlig eine andere Welt.
In den Vorstädten leben eben vor allem sozial schwächere Gruppen, fast immer mit Migrationshintergrund. Da gibt es viele Jugendliche ohne Perspektive. Sie werden von diesen Banden rekrutiert.
Bereits früher hat man in Schweden erkannt, dass die Vorstädte ein Problem sind. Wie hat man gehandelt?
Es ist viel passiert, aber eben nicht nur Positives. Die Politik hat in Schulen, Jugendzentren und Personal investiert. Aber man ist oft hilflos, weil die Banden viel Geld und Prestige versprechen. Und vor allem sind die Wohnräume die gleichen geblieben. Sie haben oft einen viel tieferen Standard als sonst im Land. Wenn man eine Vorstadt besucht, ist das völlig eine andere Welt. Dort werden solche Banden aufgebaut und sind aktiv.
Die Polizei fordert härtere Strafen. Ist das mehrheitsfähig?
Es gibt zu diesen Fragen Gespräche der rot-grünen Regierung mit der Opposition, und da ist die Idee mehrheitsfähig. Aber man hat von Anfang an die rechtsnationalen Schwedendemokraten, die sich auch mit diesen Fragen beschäftigen, von den Gesprächen ausgeschlossen. So werden schon bei den Gesprächen Konflikte geschürt.
In Dänemark hat man ähnliche Probleme. Es kommt in den Vorstädten vermehrt zu Anschlägen. In Dänemark behaupten viele, die Gewalt werde aus Schweden importiert. Ist da etwas dran oder ist das einfach Schwarz-Peter-Spiel?
Die Probleme in Dänemark sind ähnlich. Auch dort gibt es Vorstädte. Was man in Dänemark anders gemacht hat ist einerseits, dass man das Thema schon viel früher thematisiert hat und sich mit diesen Problemen auseinandergesetzt hat. In Dänemark hat man auch einen anderen Zugang zur Frage des Drogenhandels und der Prostitution.
Die dänische Regierung will Mitte November wieder Grenzkontrollen bei der Einreise von Schweden nach Dänemark einführen. Ist das Symbolpolitik?
Ja, ich denke, das ist schon fast lächerlich. In den letzten Jahren hat Schweden das Umgekehrte gemacht. Als man von Kopenhagen nach Malmö fuhr, musste man aussteigen und die Identitätskarte zeigen. Nun planen die Dänen das Gleiche auf der andere Seite. Organisierte Kriminelle organisieren sich eben, und sie leben trotz einer ID-Kontrolle ihre kriminelle Energie aus.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.