Seit 100 Tagen sitzen sie nun hier. Seit dem 17. Oktober 2019, als sie das erste Mal auf die Strasse gingen, um gegen das korrupte System zu demonstrieren.
Sie haben Strassen blockiert, sie halten den Platz der Märtyrer im Zentrum von Beirut besetzt – und sie haben sich Strassenschlachten mit den Sicherheitskräften geliefert. «Dass die Polizei mit solcher Gewalt auf uns losgeht, zeigt, dass sie schwach ist. Und dass sie Angst hat.»
Jana Dandash kennt jeden hier, und jeder kennt Jana Dandash. Die 22-jährige junge Frau ist eine der Ikonen der Revolution. Sie ist zierlich in ihrer Erscheinung – und umso entschlossener in ihren Zielen: «Wir haben Hunger, und wir ertragen es nicht mehr, hungrig zu sein. Viele Libanesen haben ihre Jobs verloren.»
Wir haben Hunger, und wir ertragen es nicht mehr, hungrig zu sein.
Dandash sagt danach weiter: «Ich bin eine davon, und er ist einer davon, alle hier haben ihre Jobs verloren! Wir haben kein Einkommen. Es gibt keinen anderen Weg, als für unsere Freiheit und unsere Rechte zu kämpfen.»
Revolution will Hisbollah entmachten
Jana Dandash steht für vieles, was diese Revolution ausmacht: Sie ist Schiitin aus Baalbek, der Hisbollah-Hochburg. Doch sie will die Hisbollah genauso entmachten wie alle anderen politischen Parteien, die ihre Macht auf religiöser Zugehörigkeit aufgebaut haben. «Indem sie uns entlang der religiösen Bruchlinien spalten, kontrollieren sie uns. Das muss enden.».
Jana steht vor einem Zelt hartgesottener Revolutionäre: «Wir kommen aus allen Bereichen dieser Gesellschaft: wir sind Schiiten, Sunniten, Christen. Männer und Frauen. In allen anderen Ländern ist das normal. Hier nicht.»
Neue Regierung mit alten System verknüpft
Nach einer monatelangen Hängepartie hat der neue Premierminister Hassan Diab endlich seine neue Regierung vorgestellt. Es sind zwar weitgehend unbekannte Namen. Doch eine reine Technokraten-Regierung, wie dies die Protestbewegung verlangt, ist es nicht. Das Geschacher um die einzelnen Posten hat gezeigt, dass auch diese Regierung eng mit dem alten politischen System verknüpft ist.
Jana Dandash führt uns in eines der wenigen noch übrig gebliebenen Zelte auf dem Platz der Märtyrer. Ihre Freunde sitzen vor einem kleinen Heizofen und wärmen ihre durchfrorenen Hände.
Wir müssen bis zum Ende gehen.
Fadi Zeiteddine schüttelt nur den Kopf, als wir ihn auf die neue Regierung ansprechen: «Es geht nicht um eine politische Figur. Es geht um das ganze korrupte System! Es ist ein System von Oligarchen, die den Libanon seit dem Bürgerkrieg unter sich aufgeteilt haben.»
Galoppierender Währungszerfall
Für ihren Profit haben diese Oligarchen, wie Zeiteddine sie nennt, ein Schneeball-System aufgebaut, das nun zusammenbricht. Die Währung hat seit Beginn der Revolution rund 60 Prozent an Wert verloren, Jobs gehen verloren, die Banken geben kaum mehr Geld heraus.
Vielen Libanesen geht es so wie Jana Dardash und Fadi Zeiteddine fügt hinzu: «Du kannst nicht mitten in einer Revolution aufhören. Damit schaufelst du dir dein eigenes Grab. Wir müssen bis zum Ende gehen. Nach Hause gehen können wir jedenfalls nicht!»