Wir nennen ihn «Achmed». Der Mann, der heute in der Schweiz lebt, diente nach eigenen Angaben über 20 Jahre in der Politischen Sicherheit, dem Geheimdienst des syrischen Innenministeriums. Von 1990 bis 2003 habe er in Damaskus Informantenberichte ausgewertet, erzählt «Achmed». Dann sei er von Bashar al-Assad persönlich zum Chef der Politischen Sicherheit im Gouvernement Latakia befördert worden - im Rang eines Brigadegenerals.
Dort, wo ich gearbeitet habe, ist nichts Gesetzeswidriges passiert.
Zu seinen Aufgaben äussert sich «Achmed» nur vage. Er sei für die Sicherheit in der Provinz zuständig gewesen, habe den islamistischen Terror bekämpft. Von politisch motivierten Verhaftungen, unrechtmässiger Haft und Folter will er nichts gewusst haben. «Dort, wo ich gearbeitet habe, ist nichts Gesetzeswidriges passiert. Überhaupt nichts.»
Verhaftet, gefoltert, weggesperrt
«Achmeds» Aussagen stehen im Widerspruch zu allgemeinen Berichten von Menschenrechtsorganisationen. Die Assad-Familie setzt die Geheimdienste nicht erst seit dem Krieg, sondern seit Jahrzehnten zur Unterdrückung politischer Gegner ein. Aus deren Folterkellern berichten Oppositionelle Horror-Geschichten. So wie Khalil Houssein.
Bei der Politischen Sicherheit ist die Folter unglaublich chaotisch – sie haben alles. Alles.”
Der syrische Kurde engagierte sich von Jugend an in der syrischen Opposition. Er kennt «Achmed» nicht, die Wege der beiden Männer haben sich nie gekreuzt. Aber an die Politische Sicherheit hat Houssein schreckliche Erinnerungen. «Bei den anderen Geheimdiensten weiss man, was einen erwartet. Aber bei der Politischen Sicherheit ist die Folter unglaublich chaotisch - sie haben alles. Alles.”
Er sei mehrfach von der Politischen Sicherheit und anderen Geheimdiensten verhaftet, gefoltert und weggesperrt worden. 2006 gelang ihm die Flucht, zunächst in die Türkei, später in die Schweiz. Er findet, die Schweiz sollte hohe Ex-Funktionäre wie «Achmed» verfolgen und vor Gericht stellen.
Asylunwürdig wegen «verwerflicher Taten»
Ex-General «Achmed» desertierte nach eigenen Angaben 2012 und bat knapp vier Jahre später in der Schweiz um Asyl. Das Staatssekretariat für Migration SEM anerkannte ihn als Flüchtling, lehnte sein Asylgesuch aber ab. Er habe sich im Rahmen seiner «langjährigen Karriere beim syrischen Geheimdienst für verwerfliche Handlungen (...) verantwortlich gemacht» und «zur Begehung von schweren Menschenrechtsverletzungen beigetragen», heisst es im Asylentscheid.
Das SEM hat den Fall «Achmed» der Bundesanwaltschaft zunächst aber nicht gemeldet. Obwohl diese für die Ermittlung bei Verdacht auf Verbrechen gegen das Völkerrecht zuständig ist. Die Hürde für eine solche Meldung sei relativ hoch, sagte SEM-Sprecher Daniel Bach vor zwei Wochen gegenüber der Rundschau: «Es braucht einen begründeten Anfangsverdacht, wir brauchen entsprechende Aussagen dieser Person oder Beweismittel. Da brauchen wir dann doch etwas Handfestes.»
Inzwischen scheint das SEM seine Einschätzung revidiert zu haben: Der Fall «Achmed» sei nun doch der Bundesanwaltschaft überwiesen worden, meldete das SEM der Rundschau kurz vor Ausstrahlung des Beitrages.
Für den Oppositionellen Khalil Houssein ist klar: Hohe Funktionäre wie «Achmed» tragen eine Mitschuld – auch ohne Hinweis auf konkrete Straftaten. «Ich finde, sie tragen den grössten Teil der Verantwortung, für alles, was in Syrien passiert ist. Sie sind genauso verantwortlich wie Bashar al-Assad.»
Glauben Sie mir, wenn ich in der Nacht schlafe, habe ich keine Gewissensbisse.
Auch diesen Vorwurf weist «Achmed» von sich: «Wer Bashar al Assad unterstützt hat, war die Armee und nicht der Geheimdienst.» Und er betont, er sei 2008 sowieso aus dem Geheimdienst ausgeschieden und als Chef der Migrations- und Passbehörde nach Rakka geschickt worden. Das sei eine Strafversetzung gewesen, weil er einen Korruptionsfall in Latakias Verwaltung aufgedeckt habe.
Als 2011 die Revolution ausbrach, habe das Innenministerium «Achmed» in seine Heimatregion Deir ez-Zor versetzt. Dort habe er die Situation beruhigen sollen. Aber als er im Sommer 2012 den Befehl erhalten habe, auf die Strasse zu gehen und die Leute zu verhaften, habe er diesen verweigert und sei geflohen.
Seit seiner Fahnenflucht präsentiert sich «Achmed», der sein ganzes Arbeitsleben in den Dienst der Diktatur gestellt hatte, als Assad-Kritiker. Er war eines von vielen Rädern im Machtapparat der Diktatur – Schuldgefühle plagen ihn ob seiner Vergangenheit aber nicht. «Glauben Sie mir, wenn ich in der Nacht schlafe, habe ich keine Gewissensbisse.»