Seit rund drei Wochen sind in der Region Tigray Kämpfe im Gang. Am Mittwochabend lief das Ultimatum aus, mit dem Regierungschef Abiy Ahmed die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) zur Kapitulation aufgefordert hatte. Jetzt hat Abiy eine Militäroffensive angekündigt – doch Informationen aus der Region seien kaum zu erhalten, sagt SRF-Afrikakorrespondentin Anna Lemmenmeier.
SRF News: Was ist in Äthiopien nach Ablauf von Ahmeds Ultimatum an die TPLF passiert?
Anna Lemmenmeier: Man weiss nicht sehr viel darüber. Laut der BBC ist bis heute Morgen noch nichts passiert. Das ist das Verrückte an dem Konflikt: Er findet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, seitdem die äthiopische Regierung am 4. November alle Informationskanäle in der Region gekappt hat.
Sechs Millionen Menschen sind in der Tigray-Region von dem bewaffneten Konflikt betroffen. Was bedeutet das für sie?
Es gibt dort keine Internetverbindungen, die Telefonleitungen in die Region sind unterbrochen. Bei Whatsapp sieht man, dass die Leute in der Region zuletzt am 3. November online waren.
Die äthiopische Regierung hat die Informationshoheit über das Konfliktgebiet.
Verwandte wissen also nicht, wie es ihren Angehörigen in der Region Tigray geht, Journalisten und Hilfsorganisationen werden nicht dorthin gelassen. Die äthiopische Regierung hat die Hoheit darüber, welche Informationen aus dem Konfliktgebiet herauskommen. Deshalb ist es so schwierig, darüber zu berichten, was dort gerade passiert.
Gibt es trotzdem Informationen, die nach aussen dringen?
In den letzten drei Wochen sind mehr als 40'000 Personen nach Sudan geflohen. Sie erzählen etwa, dass Menschen in Tigray mit Messern oder Macheten massakriert worden seien.
Am 9. November fand ein grausames Massaker statt.
Amnesty International hat die Berichte gesammelt. Dabei kam heraus, dass am 9. November ein grausames Massaker stattgefunden hat. Doch man weiss bis heute nicht, wer wen in welcher Anzahl massakriert hat: Ob die Täter Tigray-Milizen waren oder solche, die der äthiopischen Regierung nahestehen. Auch ist unklar, ob gezielt bestimmte ethnische Gruppen attackiert wurden.
UNO-Generalsekretär António Guterres rief die Beteiligten dazu auf, die Zivilbevölkerung im Konflikt zu schützen. Muss man befürchten, dass es zu weiteren Gräueltaten kommt?
Rund um das Ultimatum an die TPLF war die Rhetorik der äthiopischen Regierung sehr besorgniserregend. Sie sprach etwa davon, dass es kein Erbarmen für die Einwohner der Provinzhauptstadt Mekelle geben werde. Auch die Zivilisten der 500'000-Einwohnerstadt würden nicht verschont, wenn sie sich nicht von der TPLF distanzieren würden, hiess es. Das veranlasste die UNO dazu, vor möglichen Kriegsverbrechen zu warnen.
Derzeit tönt es nicht so, als ob die Konfliktparteien zu Gesprächen bereit wären.
Wehrt sich die Regierung von Abiy deshalb gegen jede internationale Einmischung?
Dagegen würde sich wohl jede Regierung wehren. Wenn einem Land Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, wird stets argumentiert, das sei eine nationale Angelegenheit. Das tut auch Abjy.
Wie kann der Konflikt um Tigray gelöst werden?
Derzeit tönt die Rhetorik auf beiden Seiten sehr unversöhnlich, es tönt nicht so, als ob die beiden Konfliktparteien in absehbarer Zeit zu Gesprächen bereit wären. Immerhin hat die Afrikanische Union eine Delegation in die Hauptstadt Addis Abeba entsendet. Doch es gibt noch keine Berichte darüber, ob bereits Gespräche stattgefunden haben.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.