Sie war noch keine 20 Jahre alt, als sie ihr Geburtsland, die Schweiz, verliess, und nach Jerusalem zog. Mit ein Auslöser für ihren Auswanderungsentscheid: Der Sechstagekrieg von 1967 zwischen Israel und einigen arabischen Staaten, die den Staat Israel auslöschen wollten. «Damals teilte ich meinen Eltern mit: Meine Zukunft ist in Jerusalem», erzählt die 70-jährige Irène Pollak-Rein.
Nicht Fisch verteilen, sondern Angelruten
1969 zog sie nach Jerusalem, und seit bald 30 Jahren setzt sie sich dort für die Armen der Stadt ein. Die Jerusalem Foundation, für die sie sich engagiert, gründete ein Bürgermeister Jerusalems in den 1960er-Jahren. In den 1980er-Jahren wurde die Jerusalem Foundation Switzerland gegründet. Diese setzt auf Bildung statt auf die Verteilung von Esspaketen.
Unsere Aufgabe war von Anfang an, nicht Fisch zu verteilen, sondern die Angelrute in die Hand zu drücken.
Interkulturelles Bildungsprojekt
Rund die Hälfte der Bevölkerung Jerusalems lebt in Armut. Besonders betroffen sind die arabische, mehrheitlich muslimische Bevölkerung, und die ultraorthodoxen Juden: «Bei den Ultraorthodoxen arbeiten die Männer nicht und bei den Arabern arbeiten die Frauen oft zu wenig. Um sich aber in Israel ein anständiges Leben leisten zu können, braucht es pro Familie zwei Saläre.»
Viele ultraorthodoxe Männer arbeiten nicht, weil sie sich voll und ganz dem religiösen Studium widmen – so will es die Tradition. Genauso, wie es bei vielen muslimischen Männern Tradition ist, dass sie ihre Frauen nicht ausser Haus arbeiten lassen. Gegen solche Traditionen anzukommen ist schwer: «Aber im Grunde genommen möchte doch eigentlich jeder, dass es ihm besser geht.»
Um sich aber in Israel ein anständiges Leben leisten zu können, braucht es pro Familie zwei Saläre.
«Türen öffnen»
Irène Pollak-Rein baut auf diesen Wunsch nach einem besseren Leben. Den Armen Wege aus der Armut aufzeigen, ohne deren religiösen Überzeugungen infrage zu stellen: «Wir schreiben der Bevölkerung nicht vor, was sie zu tun hat, aber wir hoffen, ihnen Türen zu öffnen.»
Stipendien und Coaching
Türen öffnen mit Bildung: Das heisst zum Beispiel Junge zum Studium von sogenannten MINT-Fächern animieren: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, damit sie bessere Chancen haben auf dem Arbeitsmarkt.
Damit Kinder aus armen Familien es überhaupt an eine Universität schaffen, hilft die Stiftung auch mit der Finanzierung eines guten Gymnasiums: «Das kostet Geld, denn sie erhalten mit dem Stipendium nicht nur das Schulgeld, sondern zusätzliche Hilfe, damit sie wirklich erfolgreich sind in diesen Schulen.»
Die Jerusalem Stiftung führt Bildungsprogramme für Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Stadtteilen Jerusalems durch. Zentral ist auch der interkulturelle Austausch.
Gegen die Vereinsamung im Alter
Umgerechnet rund 21 Millionen Franken hat die Jerusalem Foundation letztes Jahr in Projekte investiert und so Tausende von Bedürftigen erreicht, darunter nicht nur Junge: «Es geht mir nicht nur um die Bildung von Jugend, sondern auch, um etwas gegen die Vereinsamung von alten Menschen zu tun», so Pollak-Rein.
Israel hat mit seinem stark auf privater Vorsorge beruhenden Rentensystem eine der höchsten Altersarmutsraten der entwickelten Länder. Das betrifft auch viele Holocaust-Überlebende. Für sie setzt sich Pollak-Rein, Leiterin der deutschsprachigen Länder der Jerusalem Foundation, ebenfalls ein.
Die hohe Auszeichnung empfindet sie als grosse Ehre. Aber auch als Bestätigung dafür, dass es die Stiftung braucht: Jetzt erst recht, wo Corona viele noch ärmer gemacht hat.