Ganz Italien reibt sich an diesem Sonntagvormittag die Augen: Über Nacht hat die Regierung in Rom beschlossen, die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung in 14 Provinzen Norditaliens drastisch einzuschränken. Die sogenannte «Zona Rossa», welche bislang nur für jene kleineren Gemeinden schon seit zwei Wochen gilt, in denen sich das Corona-Virus zuerst ausgebreitet hatte, wird ab heute auch auf die Metropole Mailand, die ganzen Lombardei und Teile der Emilia Romagna, des Veneto, Piemont und den Marken ausgeweitet.
Um drei Uhr nachts unterzeichnet Ministerpräsident Giuseppe Conte das Dekret, welches schlagartig das Leben von fast 16 Millionen Italiener verändern kann. Nach der weiterhin raschen Ausbreitung des Corona-Virus mit Ansteckungsraten von zuletzt Tausend Neuinfizierungen pro Tag will die Regierung in Rom die Reissleine ziehen.
Süditaliener wollen weg
Schon vor Mitternacht melden die Medien erste Einzelheiten. Hunderte von Süditalienern versuchen danach in Milano Centrale, Plätze in den Nachtzügen Richtung Süden zu ergattern . Für viele lief schon ein Film ab: Werden jetzt Polizei und Militär ausschwärmen: Autobahnen, Flughäfen und die Eisenbahn kontrollieren?
Nichts davon am nächsten Morgen. Auch am Sonntag verkehren die Schnellzüge zwischen Mailand, Venedig und Rom regulär, Flugzeuge starten und landen in Linate und Malpensa. Italien ist eben nicht China.
Hunderte von Süditalienern versuchen, Plätze in den Nachtzügen Richtung Süden zu ergattern.
Viele Süditaliener und jene, die ihre Familien ausserhalb der neuen grossen Roten Zone haben, packen ihre Koffer und versuchen, im Laufe des Sonntags den Norden zu verlassen. Studenten, deren Universitäten geschlossen sind, kehren für die nächsten Wochen zu ihren Familien zurück.
In den Sondersendungen im Radio rufen verunsicherte und verärgerte Hörer an: welchen Sinn hat so ein Regierungsdekret, wenn jetzt erst recht ein Personenstrom von Nord nach Süd einsetzt?!
Italien ist nicht China
Gleichzeitig diskutieren die Präsidenten der betroffenen Regionen, vor allem im Veneto und in der Emilia-Romagna. Ihre Regionen werden praktisch durch das Dekret geteilt, Venedig zur Verbotenen Zone für die noch wenigen verbliebenen Touristen erklärt. Luca Zaia, Präsident des Veneto und Lega-Politiker kritisiert die Anordnung aus Rom als willkürlich und nicht durchdacht. Wie soll die Umsetzung erfolgen, wie soll der Güteraustausch weiter gewährleistet werden?! Wie will man den ökonomischen Zusammenbruch des wirtschaftlichen Herzens Italiens verhindern?!
Dieser Sonntag zeigt: Italien ist eben nicht China – es ist ohne eine Zentralgewalt, die über Nacht drastische Fakten schaffen kann.
Ein unruhiger Sonntag steht den Italienern bevor – die eigentlich an diesem 8. März «Festa della Donna», den Tag der Frauen feiern. Zu Feiern ist aber heute niemandem zu Mute.
Sendebezug: SRF 4 News, 08.03.2020, 9:30 Uhr