Am Rande der Roma-Siedlung von Dreveník wird ein Name ausgerufen. Eine Frau kommt die Strasse hoch. Die Hilfswerkmitarbeiterin händigt ihr einen Kehrichtsack mit Lebensmitteln aus. Die Frau nimmt ihn und geht zurück ins Dorf. Dann erklingt der nächste Name. Bis alle Familien einen Sack mit Lebensmitteln haben. Journalisten sind nicht zugelassen.
«Quarantäne war richtig, aber schlecht geplant»
Najvirtová vom Hilfswerk «Menschen in Not Slowakei» sagt später zur «Tagesschau»: «Es war richtig, dieses Dorf unter Quarantäne zu stellen. Aber diese Quarantäne war schlecht geplant. Die Kranken und die Gesunden müssten viel besser voneinander getrennt werden. Und es müsste sichergestellt sein, dass die Menschen genügend Lebensmittel bekommen.» Beides ist hier offenbar nicht passiert.
Anfang April liess die Regierung durch die Armee in vielen Roma-Siedlungen Corona-Tests durchführen. Fünf Dörfer wurden unter Quarantäne gestellt. Dieses Vorgehen sorgte für einen Aufschrei. Viele vermuteten wieder einmal den alltäglichen Rassismus gegen die Roma-Minderheit hinter der Massnahme.
Rassismus mit im Spiel?
Maria Patakyova etwa, die staatliche Ombudsfrau für Menschenrechte hatte daran erinnert, dass ganze Siedlungen erst geschlossen werden dürfen, wenn mindestens zehn Prozent der Gemeinde infiziert seien. Doch ihr Ruf nach milderen Massnahmen blieb ungehört.
Rassismus könnte eine Rolle gespielt haben beim rabiaten Vorgehen der Behörden. Doch es gab diesmal auch sachliche Gründe, wie František Žiga, Bürgermeister des Dorfes Bystrany erzählt: «Alles begann mit einer Gruppe Roma, die in England gearbeitet hatten. Neun von ihnen waren positiv. Sie brachten das Virus zu uns.»
Kritik an den Staat
Tatsächlich sind die Armut und die hohe Mobilität der Roma eine potenziell explosive Mischung für die Verbreitung des Virus. Konkret: Rund eine halbe Million Roma gibt es in der Slowakei, etwa 5 Prozent von ihnen haben keinen ständigen Zugang zu Trinkwasser. In einzelnen Dörfern arbeitet die Hälfte aller Bewohner einige Monate pro Jahr im Ausland.
Unsere Aufforderung zum Händewaschen kommt nicht gut an in Siedlungen, wo wir als Staat versagt haben, die Menschen auch nur mit fliessendem Wasser zu versorgen.
Auch dem neuen Ministerpräsidenten Igor Matovič wurde Rassismus vorgeworfen, als er sagte: «Wenn Virusträger aus diesen Dörfern rauskommen und rumreisen, wird uns das alle treffen.» In Tat und Wahrheit hatte er an derselben Pressekonferenz auch den slowakischen Staat kritisiert mit den Worten: «Unsere Aufforderung zum Händewaschen kommt nicht gut an in Siedlungen, wo wir als Staat versagt haben, die Menschen auch nur mit fliessendem Wasser zu versorgen.»
Nur noch ein Roma-Dorf isoliert
Die andere Seite der Medaille: Bis zum 2. Mai zählte die Slowakei nur 24 offiziell bestätigte Corona-Tote. Eine sehr tiefe Zahl in einem Land mit 5.5 Millionen Einwohnern. Viele der Roma loben denn auch die Behörden. In vier der fünf abgeriegelten Dörfer ist die Quarantäne mittlerweile wieder aufgehoben. Nur Dreveník bleibt vorläufig isoliert.