Stellen Sie sich vor: Sie sind in den Ferien. Vier Vermummte stoppen Ihren Bus, in dem auch andere Touristen sitzen. Die Aktivisten durchstechen einen Reifen und besprayen den Bus mit Parolen gegen Massentourismus.
So geschehen in Barcelona am letzten Sonntag. Zu Gewalt gegen Touristen kam es beim Überfall nicht, aber die Debatte über das Ausmass der Gästezahlen in Spanien wird lauter, aggressiver und nervöser.
Geschätzte 30 Millionen Touristen jedes Jahr
Es ist eine runde Zahl, und sie hat einen gewissen offiziellen Wert. Agusti Colom, der Tourismusminister von Barcelona, redet von 30 Millionen Touristen, die seine Stadt jedes Jahr besuchen. Er spricht von einer Schätzung. Und hier beginnt das Problem: Wirklich zuverlässige Zahlen gibt es nicht. Denn viele Touristen steigen in Wohnungen ohne Tourismus-Lizenz der Stadt ab und werden nicht registriert. Sie sind, oft ohne es zu wissen, blinde Passagiere in Spaniens Tourismushauptstadt.
Minister Colom hat noch eine runde Zahl zur Hand: Etwa 10'000 Wohnungen würden auf dem Schwarzmarkt angeboten. Auch das eine Schätzung. Es gibt andere, die von deutlich höheren Zahlen ausgehen. Aber egal, wem man glauben will: Jede Zahl macht deutlich, dass der Tourismus Wohnraum besetzt, Wohnungen, die dem Mietmarkt verloren gehen. Einheimische müssen darum ihre Quartiere verlassen, weil ihr Leben dort zu teuer geworden ist.
Jeder Fünfte nennt Tourismus als Hauptproblem
In Spaniens Wirtschaftskrise mussten viele ihr Haus oder ihre Eigentumswohnung aufgeben und sind zu Mietern geworden. Die höhere Nachfrage hat zu Engpässen geführt. Der Tourismus aber verschärft diese Knappheit noch. Denn Touristen können Preise zahlen, die Einheimische nicht zahlen können.
Darum sagten diesen Sommer schon 20 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Barcelonas, der Tourismus sei das Problem Nummer eins der Stadt. Die Bevölkerung von Valencia oder Palma de Mallorca würden nicht anders antworten.
Die Schattenseite des Booms
In vielen touristischen Zentren wächst der Widerstand gegen den alljährlichen Überfall einer bunten Besatzungstruppe. Dass die Geld bringt, war lange Zeit das Hauptargument für ein ungebremstes Wachstum des Tourismussektors.
Heute rücken die Probleme in den Vordergrund. Lärm, steigende Preise, Wohnungsnot. Die Politik wird national und regional kritisiert, weil sie sich zu lange auf die Rohstoffe Sonne und Sand verlassen und keine wirkungsvollen touristischen Konzepte entwickelt habe. Auf Mallorca diskutiert man seit Jahren darüber, wie man zu anspruchsvolleren und zivilisierteren Gästen kommen und die Trunkenbolde des Billigsttourismus loswerden könnte. Resultate gibt es noch keine.
Die Zwischenbilanz im Sommer zeigt, dass Spanien vor einem neuen Tourismusrekord steht. Die Zahl der Gäste wird also weiterwachsen. Der Protest gegen sie wohl auch.