Die Anklage gegen Premierminister Benjamin Netanjahu wegen Korruption und die gescheiterte Regierungsbildung beschäftigen Israel. Rücktrittsforderungen werden laut. Wie sich Netanjahu gegen die Vorwürfe verteidigt, weiss SRF-Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner.
SRF News: Im Fall von Benjamin Netanjahu gilt die Unschuldsvermutung. Doch wäre in der aktuellen Situation ein Rücktritt nicht naheliegend?
Susanne Brunner: So argumentieren jene, die Netanjahus Rücktritt fordern. Sie sagen, ein Premier, der zwischen dem Regierungsbüro und dem Gericht hin- und herpendelt, sei für Israel nicht gut. Er sei zu absorbiert mit seinem Gerichtsfall, um sich um die Regierungsgeschäfte zu kümmern. Und bei jeder militärischen Aktion würde sofort der Eindruck entstehen, Netanjahu wolle von sich ablenken. Die Sicherheitslage sei aber zu gefährlich, um sie einem Mann zu überlassen, der um sein politisches Überleben kämpft, und dagegen, dass er ins Gefängnis muss. Deshalb wird gefordert, er solle jetzt zurücktreten.
Netanjahu spricht von einer Hexenjagd. Ist da etwas dran?
Natürlich gibt es Kreise, die Netanjahu weghaben wollen. Klar gilt die Unschuldsvermutung. Aber trotzdem: In den letzten Wochen gelangten Telefongespräche an die Öffentlichkeit, die Netanjahu belasten.
Er scheint einem Zeitungsverleger ein Gesetz zu versprechen, das dessen Konkurrenz eliminieren würde.
Sie zeigen, wie er mit einem Zeitungsverleger umgeht. Zuerst beklagt er sich über einen kritischen Journalisten. Dann fragt er den Verleger, warum er diesen Journalisten nicht entlassen habe. Und zu guter Letzt droht Netanjahu dem Verleger auch noch. Gleichzeitig scheint er einem anderen Zeitungsverleger ein Gesetz zu versprechen, das dessen Konkurrenz eliminieren würde. Genau darum geht es in einem der Fälle.
Laut seinen Anwälten beweisen diese Aufnahmen noch keine Straftat...
Der Hauptvorwurf gegen Netanjahu ist, dass er mit reichen Freunden Deals eingegangen sein soll. Angeblich gaben sie ihm teure Geschenke. Er soll sich für Gesetze eingesetzt haben, welche ihnen dienten. Die Anwälte argumentieren jedoch, Freunde dürften einander Geschenke geben, dagegen gebe es kein Gesetz. Und man könne nicht beweisen, dass er diese Geschenke nicht einfach so bekommen habe, ohne Gegenleistung. Dazu, dass Netanjahu auf eine positivere Berichterstattung pochte – dies ist auch ein Anklagepunkt – sagen die Anwälte, das sei nicht illegal. Man dürfe sich positive Berichte wünschen. Doch das Anwaltsteam hat die Staatsanwaltschaft nicht überzeugt.
Weder Netanjahu noch Benny Gantz ist es bisher gelungen, eine Regierung zu bilden. Nun ist es am Parlament, einen Premier zu bestimmen. Ausgerechnet jetzt kommt diese Anklage. Zufall?
Sicher nicht. Nur: Egal wie der Staatsanwalt vorgegangen wäre, es wäre falsch gewesen. Das Timing war extrem heikel. Als er während des Wahlkampfs verkündete, er wolle eine Anklage gegen Netanjahu prüfen, warfen ihm alle vor, er würde gegen Netanjahu arbeiten und ihm im Wahlkampf schaden. Als Netanjahu mit der Regierungsbildung beschäftigt war, ging's auch nicht, sonst hätte es wie eine Hexenjagd ausgesehen. Es blieb nur der jetzige Zeitpunkt.
In seiner eigenen Partei dürften es sich einige überlegen, ob sie mit einem angeschlagenen Premier weitermachen wollen.
Netanjahu und Gantz sind beide mit der Regierungsbildung gescheitert. Das Parlament muss nun einen Kandidaten bestimmen. Dieser könnte zwar Netanjahu sein, aber auch in seiner eigenen Partei dürften es sich einige überlegen, ob sie mit einem angeschlagenen Premier weitermachen wollen. Netanjahu hat alles zu verlieren, er will nicht ins Gefängnis – er wird kämpfen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.