Am 21. Oktober wird in Kanada das Parlament gewählt und entschieden, ob der liberale Justin Trudeau Premier bleibt. Vor vier Jahren war er insbesondere für die Indigenen im Land ein Hoffnungsträger. Er versprach ihnen, die Diskriminierung zu beenden. Und tatsächlich wurden auf dem Gebiet auch Fortschritte gemacht, sagt Thomas Accola. Er betreut bei SRF das Dossier «Indigene Völker». Streit gebe es aber um Rohstoffe und Pipelines.
SRF News: Justin Trudeau hat viel Aufwand betrieben, um indigene Wähler für sich zu gewinnen. Warum ist ihm diese Wählergruppe so wichtig?
Thomas Accola: Das hat wenig mit Zahlen zu tun. Die rund 60 Indianervölker, die es in Kanada gibt – die Inuit im hohen Norden und die Métis, die Nachfahren von Fallenstellern und deren indianischen Frauen – machen zusammen weniger als fünf Prozent der kanadischen Bevölkerung aus.
Kanada hat in der Vergangenheit gegenüber Indigenen schwer gesündigt.
Aber sie leben dort, wo es Bodenschätze gibt, und sie sind gut organisiert. Wenn man diese Bodenschätze ausbeuten will, muss man mit den Interessen der Indigenen anständig umgehen. Und Kanada hat in der Vergangenheit gegenüber Indigenen schwer gesündigt. Es ist daran, dies aufzuarbeiten.
Trudeau hat damals hohe Erwartungen geweckt. Hat er sie erfüllt?
Er hat zunächst für eine bessere Stimmung gesorgt. Unter dem konservativen Vorgänger Stephen Harper protestierten die Ureinwohner in Ottawa, weil sie sich vernachlässigt fühlten. Das ist vorbei, auch wenn es noch Proteste gibt.
Trudeau hat Milliarden locker gemacht, um das Leben in den Reservaten zu verbessern.
Trudeau bezieht sie in die Politik ein und arbeitet mit ihren Organisationen zusammen. Das wird anerkannt. Konkret erfüllt hat er zwei Versprechen. Er hat die Ursachen der Gewalt gegen Tausende indianische Frauen und Mädchen untersuchen lassen. Der Bericht liegt seit Juni vor. Und er hat Milliarden locker gemacht, um das Leben in den Reservaten zu verbessern.
Wie haben sich diese Investitionen ausgewirkt?
Die Indianer leben noch nicht unbedingt besser als vor vier Jahren. Trudeau hat keinen Zauberstab, viele Reservate im Norden sind sehr abgelegen. Es gibt dort kaum eine wirtschaftliche Perspektive. Die Wohnverhältnisse erinnern an die Dritte Welt. Der Aufholbedarf ist schlicht riesig.
Vor vier Jahren gab es etwa 100 Ortschaften, in denen das Wasser dauerhaft nicht trinkbar war.
Doch es gibt einen Bereich, in dem Verbesserungen sichtbar sind: bei der Wasserversorgung. Vor vier Jahren gab es etwa 100 Ortschaften, in denen das Wasser dauerhaft nicht trinkbar war. Jetzt sind es noch rund 50.
Welche Wahlversprechen sind lediglich Versprechen geblieben?
Nicht geliefert hat er ein neues Rahmengesetz über die Indianerpolitik. Der Indian Act stammt von 1876. Damals hat man die Ureinwohner bevormundet.
Trudeau besteht auf neuen Pipelines nach Vancouver. Diese führen weitgehend über das Land indianischer Völker.
Zwar wurde ein Gesetz zur Förderung indianischer Sprachen verabschiedet. Aber für den grossen gesetzlichen Rahmen reichte die Zeit nicht. Zudem hält er an der Ölgewinnung aus Ölsanden fest, welche die Lebensräume mehrerer indianischer Völker zerstört hat. Und er besteht auf neuen Pipelines nach Vancouver. Diese führen weitgehend über das Land indianischer Völker.
Was halten die Indigenen von der Ausbeutung der Bodenschätze?
Nur ein Teil von ihnen ist grundsätzlich dagegen, weil sie ihr Land und ihre traditionelle Lebensweise möglichst bewahren wollen. Die junge Generation will nicht mehr so leben wie ihre Grosseltern. Tausende von ihnen haben Arbeit gefunden in der Rohstoffindustrie. Und viele haben auch eigene kleine Firmen gegründet in dem Bereich. Sie wollen mitbestimmen, was an Bodenschätzen wo und wie abgebaut wird. Und sie wollen einen fairen Anteil haben. Kanada hat da in den letzten 20 Jahren Fortschritte gemacht.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.