Die Menschenkarawane, die sich seit einem Monat durch Mittelamerika in Richtung der US-Grenze bewegt, ist in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana angekommen. Was nun auf die Flüchtlinge zukommt, erläutert der Journalist Michael Castritius.
SRF News: Wie geht es für die Flüchtlinge an der Grenze zu den USA weiter?
Michael Castritius: Nun stehen sie tatsächlich kurz vor ihrem Traum. Sie wollen – das ist wichtig zu wissen – legal in die USA, nicht illegal über die Grenze. Illegal wäre ihnen viel zu teuer. Dazu braucht man Schlepper, die mindestens 3000 US-Dollar pro Person kosten. Das kommt für diese Flüchtlinge nicht in Frage. Der Grenzübergang von Tijuana Richtung San Diego in Kalifornien ist der meist benutzte Grenzübergang überhaupt hier. Die USA haben sich schon vorbereitet.
Für diese Menschen stellt es eine neue Perspektive dar, wenn sie in Mexiko arbeiten können.
In den Medien waren Fotos von Flüchtlingen in Siegerpose zu sehen, beobachtet von amerikanischen Grenzwächtern. Ist das eine Provokation?
Nein, ich glaube das war eher Ausdruck der Freude. Sie zeigten damit: Wir haben es bis an die Grenze geschafft.
Trifft man nun auch in Tijuana weitere Vorbereitungen?
Bis Freitag oder Samstag werden noch weitere 4000 bis 5000 Menschen erwartet. Sie werden viel schneller dort sein, als man erwartet hatte. Das liegt daran, dass sie nicht mehr zu Fuss unterwegs sind wie auf den ersten Tausenden Kilometern. Denn die mexikanischen Bundesstaaten, durch die sie ziehen, stellen ihnen Busse zur Verfügung.
Fast jede mexikanische Familie hat selber Migranten, die in die USA gegangen sind, legal oder illegal.
Es wird nun ein Sportzentrum ähnlich wie in Mexiko-Stadt vorbereitet, dass die Flüchtlinge erst einmal unterkommen können. Auch Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz sind vor Ort, um die Menschen zu verpflegen.
Am 1. Dezember tritt der frisch gewählte mexikanische Präsident sein Amt an. Wird das für die Flüchtlinge etwas ändern?
Glaubt man den Ankündigungen von Andres Manuel Lopez Obrador wird sich viel ändern. Denn er hat versprochen, dass er diesen Flüchtlingen Arbeitsvisa ausstellen will. Das hat es bisher so nicht gegeben. Es war zwar möglich, einen Asylantrag zu stellen und relativ oft wurde Asyl erteilt. Aber wer kein Asyl bekam, wurde abgeschoben. Für diese Menschen stellt es eine neue Perspektive dar, wenn sie in Mexiko arbeiten können. Hier in Mexiko ist es schon etwas besser als beispielsweise in Honduras.
Führt es nicht zu heftigen Diskussionen in Mexiko, dass mehrere tausend Menschen einen Asylantrag stellen werden oder bereits gestellt haben?
2700 Menschen haben nach Behördenangaben in Mexiko bereits einen Asylantrag gestellt. Bisher war die Hilfsbereitschaft in Mexiko gross. Fast jede Familie hat selber Migranten, die in die USA gegangen sind, legal oder illegal. Von daher haben die meisten Mitgefühl. Sie helfen, so gut sie können, mit Nahrungsmitteln, mit Wasser oder auch mit Kleidung.
Allerdings ist das Problem massiert aufgetreten, weil es 8000 Menschen praktisch auf einmal sind. Dadurch gibt es inzwischen vor allem in den sozialen Medien erste Andeutungen von Fremdenfeindlichkeit. In den letzten Jahren sind schon 400’000 bis 450 000 Menschen aus Mittelamerika durch Mexiko gezogen. Das hat sich nicht verändert. Nur sind sie jetzt als Gruppe sichtbar und ziehen nicht mehr heimlich durchs Land. Das kann eine Gegenbewegung auslösen.
Die meisten dieser 8000 Menschen dürften in Mexiko bleiben. Werden künftig weitere solche Karawanen Richtung Mexiko und Richtung USA ziehen?
Sie haben recht, wenn diese Karawane einen relativen Erfolg hat, sei es, dass ein Teil tatsächlich in die USA kommt oder dass die Menschen Asyl und Arbeitsgenehmigungen in Mexiko bekommen, dann zieht das andere nach. Ich würde damit rechnen, dass es an der Tagesordnung bleiben wird, dass grosse Gruppen von Menschen aus Mittelamerika nach Mexiko kommen.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.