Wer Kataloniens Unabhängigkeit will, der will Spanien in Stücke reissen. Und wer das will, ist ein Vaterlandsverräter, ein Volksfeind, der hinter Gitter gehört. So denkt vielleicht die Strasse. Ab und zu hört man auch welche, die nicht mehr nur ganz leise den Zeiten nachtrauern, in denen man mit Volksfeinden kurzen Prozess machte.
Die sieben Richter des Obersten Gerichtshofs in Spanien, die sich mit dem Fall Katalonien beschäftigen, wissen, dass die Sachlage viel komplexer ist, als es gewisse Politiker behaupten und viele Bürgerinnen und Bürger glauben wollen. Sie werden in den kommenden drei Monaten die zwölf Angeklagten und insgesamt fast 600 Zeuginnen und Zeugen anhören, um zu einem Urteil zu kommen.
War es ein Aufstand gegen den Staat?
Im Mittelpunkt steht die Frage: Was ist eine Rebellion? Anders gefragt: Kann man als Rebellion bezeichnen, was sich im Herbst 2017 in Katalonien abspielte? Waren die illegale Abstimmung vom 1. Oktober und die einseitige Unabhängigkeitserklärung vier Wochen danach Teile eines Aufstands gegen den Staat? Wurden die Ziele mit Gewalt verfolgt? War der Staat in jener Zeit je in Gefahr?
Strafrechtsprofessoren haben immer wieder gewarnt vor einer Anklage wegen Rebellion, weil der Tatbestand nicht gegeben sei. Nicht einmal Landfriedensbruch sei hier die richtige Kategorie. Die Richter werden diese Argumente im Verhandlungssaal wieder hören. Und vielleicht erinnert jemand an den 23. Februar 1981, als Oberstleutnant Antonio Tejero mit seinen Soldaten das Parlament stürmte und im Plenarsaal rumschoss. Die Einschusslöcher sind immer noch sichtbar. Tejero wollte der jungen Demokratie ein schnelles Ende bereiten. Und scheiterte. Das war eine Rebellion.
Der Vergleich mag für die Richter hilfreich sein. Aber politisch scheint er derzeit nicht zeitgemäss. In Spanien formiert sich grad ein Rechtsblock, der historische Erinnerung als obsolet abtut. Zu diesem Block gehört eine schwer angeschlagene konservative Partei PP (die von ihren Korruptionsskandalen ablenken will), die rechte Bürgerpartei Ciudadanos und Vox, der extreme Rechtsableger der Konservativen. Sie alle drängen zur Macht in Spanien. Und ein unerbittlicher Kurs gegenüber Katalonien scheint ein gutes Vehikel zu sein. Das ist der politische Hintergrund, vor dem der Prozess in Spanien stattfindet.
Richter stellen die politischen Weichen
Mariano Rajoy, der frühere konservative Ministerpräsident Spaniens, hat den Katalonien-Konflikt konsequent an die Richter delegiert. Eine politische Antwort darauf war für ihn keine Option. So wurde der Konflikt zum Reizthema, dessen einzige Spielart die harte Konfrontation ist. Das nützt der Rechten Spaniens. Und das nützt den radikalen Separatisten. Jetzt sind die Richter an ihrem letzten Zug. Sie stellen (ob sie wollen oder nicht) die politischen Weichen für Spanien.
Egal, wie sie entscheiden, ihr Urteil wird immer ein Risiko sein. Ein Beobachter in Madrid sagte jüngst: Wenn es harte Gefängnisstrafen gibt, brennt Katalonien. Wenn es Freisprüche gibt, brennt der Rest von Spanien. Das heisst: Der Katalonienkonflikt wird nicht im Gerichtssaal gelöst. Für eine Einigung braucht es politische Köpfe in Madrid und Barcelona, die auf Dialog setzen und stark genug sind, diese Linie durchzusetzen. Davon ist Spanien weit entfernt.