Lange Zeit galt in China: Wer viel lernt, bringt es weit. Das war einmal. Hochgebildete Universitätsabsolventen haben heute Mühe, einen Job zu finden. Entsprechend gross ist der Zulauf bei Berufsmessen.
Auch der 24-jährige Shi Wei sucht auf einer solchen Messe in Hangzhou nach Arbeit. Im vergangenen Jahr hat der Softwareentwickler sein Studium abgeschlossen. Aber vor zwei Monaten hat er seine erste Stelle verloren.
Jugendarbeitslosigkeit bei 20.8 Prozent
Seither sucht Shi Wei Arbeit als Webentwickler: «Die Leute denken, dass es bei meiner Fachrichtung einfach ist. Aber dieses Jahr ist die Arbeitssuche angesichts der Beschäftigungslage schwierig.»
Die allgemeine Arbeitslosigkeit lag im Mai bei 5.2 Prozent und ist damit gleich hoch wie in den vorherigen Monaten. Allerdings gibt es grosse Unterschiede bei den Altersgruppen: Bei den 16- bis 24-Jährigen betrug die Arbeitslosenquote im Mai 20.8 Prozent. Das ist ein Allzeithoch.
Rekordzahl von Hochschulabsolventen
Die steigende Jugendarbeitslosigkeit hat verschiedene Gründe. Während der Coronapandemie haben viele Studierende ihr Studium verlängert. Allein dieses Jahr strömen 11.58 Millionen Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Auch das ist ein Rekord.
Gleichzeitig erholt sich die chinesische Wirtschaft nach dem Ende der Pandemie in manchen Branchen nur langsam. Das spürt auch Shi Wei: «Es gibt zu viele Absolventen. Und in der Informatikbranche läuft es schlecht. Also bin ich gleich doppelt betroffen.»
Junge suchen Halt beim Beten im Tempel
Wie gross der Druck auf Chinas jungen Erwachsenen lastet, sieht man auch an einem überraschenden Ort. Seit dem Ende der Pandemie verdreifachte sich die Zahl der Besucher und Besucherinnen von buddhistischen und taoistischen Tempeln im ganzen Land. Die Hälfte davon sind junge Menschen.
«Der Stress ist einfach zu gross», erzählt die Doktorandin Wu. «Arbeit, Studium und hohe Wohnkosten. Von allen Seiten gibt es Druck.» Jetzt sucht Wu Halt im Glauben, zündet Räucherstäbchen an und betet im Lingyin-Tempel in Hangzhou für eine sichere Zukunft.
An diesem Tag wünscht sich die Doktorandin einen erfolgreichen Universitätsabschluss. Aber erst, wenn sie bestanden hat, will sie auch für einen Job beten: «Ich will nicht zu gierig wirken. Ein Wunsch aufs Mal muss genügen.»
Überqualifizierte Hochschulabsolventen
Auch Shi Wei weiss vom Ansturm auf die Tempel in China. Er glaubt aber nicht, dass Beten etwas nützt. Was es brauche, sei Selbstinitiative. Von der Arbeitsmesse ist er jedoch enttäuscht. «Die meisten Stellen haben wenig mit meiner Studienrichtung zu tun.» Die anwesenden Firmen suchen vor allem Personal im Bereich Verkauf. Doch dafür oder für die Arbeit in Fabriken sind Hochschulabsolventen wie Shi Wei überqualifiziert.
Ein möglicher Ausweg wäre der Staatsdienst. Aber auch dort ist die Konkurrenz gross. Wer jünger als 35 Jahre ist, kann eine Aufnahmeprüfung für den öffentlichen Dienst absolvieren. 2022 machten das zum ersten Mal zwei Millionen Menschen. Dieses Jahr sind es sogar 2.6 Millionen. «Eine Freundin von mir will Lehrerin werden», erzählt Shi Wei. «In einem Fall hat sie sich zusammen mit 800 weiteren Interessierten auf 20 offene Stellen beworben.»
Falls Shi Wei weiterhin keine Anstellung findet, sieht er für sich nur eine einzige Möglichkeit: «Ich werde wohl die Zulassungsprüfung für einen Masterstudiengang machen.» Er hofft, so die Zeit überbrücken zu können, bis sich die Aussichten auf dem chinesischen Arbeitsmarkt bessern.