Als sich Sergej Gawrilow auf den Stuhl des georgischen Parlamentsvorsitzenden setzte, brach ein Sturm der Entrüstung los. Gawrilow, ein russischer Parlamentsabgeordneter, sollte eigentlich eine Tagung zu religiösen Fragen leiten. Er war von der georgischen Regierung eingeladen worden.
Vielen Georgierinnen und Georgier war da aber nicht mehr nach besinnlichen Diskussionen. Ein Russe auf dem Chefsessel des georgischen Parlaments? Das ist eine Provokation. Denn Russland wird als Besatzungsmacht wahrgenommen.
Massive militärische Präsenz in Georgien
Was im Westen gerne vergessen geht: Russland hält nicht nur Teile der Ukraine besetzt, auch in Georgien ist die russische Armee massiv präsent. Sie unterhält in den abtrünnigen Teilrepubliken Südossetien und Abchasien grosse Militärbasen. 20 Prozent des georgischen Territoriums werden de facto von Moskau kontrolliert.
Deswegen hat der Auftritt von Gawrilow in Tiflis zu wütenden Demonstrationen geführt. Tausende wollten das Parlamentsgebäude stürmen, es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Protest richtete sich nicht nur gegen den Russen, sondern auch gegen die eigene Regierung, welche – so die Überzeugung vieler Georgier – zu milde ist im Umgang mit Moskau.
Gekappte Flugverbindungen sind ein harter Schlag
Doch der Kreml interessiert sich nicht für die Feinheiten der georgischen Innenpolitik. Ein Sprecher diagnostizierte einen Fall von «Russophobie». Präsident Wladimir Putin holte unverzüglich aus zu Gegenmassnahmen: Er verbot sämtliche Direktflüge nach Georgien.
Für das kleine Land im Kaukasus ist das ein harter Schlag, denn in den letzten Jahren sind Hunderttausende russische Touristen nach Georgien gereist. Das Land ist voll mit Russen, die georgisches Essen probieren, alte Kirchen bestaunen oder an den georgischen Schwarzmeerstränden die südliche Sonne geniessen. An sich sind sich die beiden Völker grundsympathisch: Wenn Georgier und Russen die Politik aussen vor lassen, dann stimmt die Chemie.
Doch der Kreml interessiert sich nicht für Völkerfreundschaft. Der Touristenstrom soll ausgetrocknet, die Georgier sollen bestraft werden. Auf über eine Milliarde US-Dollar schätzen Experten den Schaden, den das Flugverbot der georgischen Wirtschaft zufügen kann.
Interessen auf Biegen und Brechen durchsetzen
Der Fall zeigt, wie sehr Moskau immer noch in imperialen Kategorien denkt: Es nimmt für sich in Anspruch, im Kaukasus wie auch in der Ukraine, seine Interessen militärisch durchzusetzen. Und wenn jemand wie die Georgier diese allzu enge brüderliche Umarmung nicht haben will, dann drückt der Kreml noch mehr zu.
Es ist eine gnadenlose Politik der Stärke. Ob sie langfristig klug ist, muss bezweifelt werden. Im Gegenteil: Georgien dürfte sich in Zukunft noch mehr von Russland abwenden. Aus Tiflis wird berichtet, empörte Restaurant-Besitzer hätten ihre russischsprachigen Menükarten schon aus dem Verkehr gezogen.