Im Norden des Landes sind die politischen Meinungen längst gemacht. In einem Dorf ausserhalb der Stadt Chiang Mai trennt Khea Kham mit schnellen, präzisen Schlägen die Krallen von einem Hühnerfuss auf ihrem Holzbrett. Dann hackt sie den Fuss in zwei Teile und wirft diese in einen grossen Kochtopf, wo ein Curry köchelt. Khea Kham führt in ihrem kleinen Bauerndorf eine Garküche. Das Geschäft laufe schlecht, sagt sie: «Seit dem Militärputsch geht's abwärts. Früher hatten die Bauern noch Geld und kamen zu mir essen. Doch das hat sich in den letzten fünf Jahren verändert.»
Stimmt, sagt Khea Khams Freundin Sida Suksap, die Lebern in kleine Stücke schneidet. Sie ist Reisbäuerin: «Bevor die Armeeregierung an die Macht kam, erhielten wir gutes Geld für unseren Reis. Heute kriegen wir kaum noch was und die meisten von uns sind hoch verschuldet.»
Der Schatten der Shinawatras
Früher, das war die Zeit als die Shinawatras noch regierten. Zuerst Thaksin Shinawatra. Er wurde 2006 von der Armee weggeputscht und lebt seither im Exil. Bei den letzten Wahlen vor acht Jahren kam seine Schwester Yingluck Shinawatra an die Macht. Sie gewann die Wahlen auch Dank ihrem Subventionsprogramm für Reis.
Die Bauern erhielten in ihrer Regierungszeit 500 Franken pro Tonne Reis, heute unter der Armeeregierung kriegen sie halb so viel. Doch das Subventionsprogramm von Yingluck riss auch ein Loch von mehreren Milliarden Dollar in den Staatshaushalt. Im Frühling 2014 wurde Yingluck Shinawatra wegen Amtsmissbrauch vom Obersten Gericht abgesetzt, ihre Regierung wurde kurz darauf von den Generälen weggeputscht. Yingluck floh im Herbst 2017 ins Ausland, um einer Gefängnisstrafe zu entrinnen.
Auch wenn die Shinawatras heute im Exil leben, die Bauern in Nordthailand haben sie nicht vergessen. Sie liebe Thaksin Shinawatra, sagt die Bäuerin Sidha Suksap: «Er hat sich um uns gekümmert, die Armeejunta jedoch hilft nur ihren eigenen Leuten, den Soldaten, der Polizei, aber nicht den Bauern.»
Für die Bauersfrau und ihre Freundin ist deshalb klar, wem sie ihre Stimme geben werden: Der Pheu Thai, der Partei der Shinawatras.
Leere Versprechen der Armeejunta
Knapp ein Drittel der thailändischen Bevölkerung arbeitet im Landwirtschaftssektor. Viele, die auf dem Land leben, seien unzufrieden mit der Militärregierung und würden wohl auch diesmal für die Pheu Thai oder eine andere Oppositionspartei stimmen, glaubt Somchai Preechasinlapakun.
Der Politbeobachter und Rechtsprofessor der Universität Chiang Mai sagt: «Die Militärregierung versprach viel, aber hielt wenig. Sie versprach Korruption zu bekämpfen, doch nun wird einer ihrer Generäle von der nationalen Anti-Korruptionsagentur freigesprochen», sagt Preechasinlapakun. Man nenne ihn General Rolex, weil er sich in den letzten Jahren so viele Luxusuhren angeeignet hat. «Dasselbe mit der Wirtschaft: Die Generäle versprachen Wirtschaftswachstum, doch stattdessen stagniert die Wirtschaft und die Kluft zwischen Armen und Reichen ist gewachsen.»
«Verhaltensanpassung» in den Fängen der Armee
Die Jahre der Militärdiktatur waren zudem geprägt von einem repressiven Klima: Dissidenten und Kritiker wurden mundtot gemacht oder gar eingesperrt. «Verhaltensanpassung» heisst eine berüchtigte Methode, bei der Aktivisten, Dissidenten und kritische Journalisten auf die Armeebasen einberufen und verhört wurden.
Die Armeejunta wollte so den Widerstand brechen. Der 50-jährige Politaktivist Hansak Benjasripitak wurde gemeinsam mit weiteren Aktivisten tagelang auf einer Armeebasis in Bangkok verhört.
Die Militärführer hätten sie gewarnt, Leute anzustacheln, um gegen die Armee zu demonstrieren. «Ich musste ein Dokument unterschreiben, dass ich keine Versammlungen mehr durchführen würde. Dann erklärten mir die Militärs, dass sie den Putsch durchgeführt hätten, um Stabilität und Friede im Land zu bewahren, aber das glaube ich ihnen nicht. Die Generäle wollten einfach die Macht an sich reissen.»
Nach den Verhören wurde Benjasripitak vorsichtiger. In den vergangenen fünf Jahren waren Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten, deshalb habe er sich nur noch in Privathäusern mit anderen Aktivisten getroffen, sagt Benjasripitak. Er ist ein Anführer der Rothemden-Bewegung, die sich nach dem Armeeputsch gegen den damaligen Premierminister Thaksin Shinawatra 2006 aus Protest gegen die Militärs formiert hatten.
Benjasripitak musste sich in den ersten zwei Jahren der Militärdiktatur jede Woche auf der Militärbasis melden, danach wöchentlich auf der Polizeistation. Zwei Stunden lang sei er jeweils ausgefragt worden: «Wen ich treffe, wohin ich gehe, was ich den Leuten erzähle, wollten sie wissen. Ich sagte nie die Wahrheit.»
Trotz der Verhöre habe sich seine Einstellung nicht verändert, sagt der Rothemd-Aktivist: «Die Generäle haben dem Land mit dem Putsch geschadet. Der Wirtschaft geht es schlechter als früher, Meinungsäusserungsfreiheit wurde von der Militärjunta unterdrückt, und die neue Verfassung garantiert den Militärs auch in Zukunft viel Macht.»
Unfaire Verfassung
Unter der Armeejunta wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die dem Militär mehr Macht gibt und die grossen Parteien, wie die Pheu Thai, bei den Wahlen benachteiligt. So können die Thailänderinnen und Thailänder zwar die 500 Abgeordneten im Unterhaus wählen, die 250 Senatoren des Oberhauses jedoch kann die Armeejunta bestimmen.
Die Generäle werden so grossen Einfluss auf die Wahl des Premierministers haben. Deshalb sei es sehr wahrscheinlich, dass der Putschführer und Junta-Chef General Prayuth Chan-o-cha dank der unfairen Ausgangslage bald gewählter Premierminister sein werde, glaubt der Rechtsprofessor: «Aber auch wenn die Generäle die Regierung stellen können, werden sie wohl keine Mehrheit im Parlament bekommen. Das bedeutet, dass wir wohl bald eine politische Blockade haben werden und vielleicht wieder Proteste in den Strassen.»
Militärjunta will sich demokratisch legitimieren
Dass der aktuelle Junta-Chef der nächste Premierminister werde, sei ein mögliches Szenario, glaubt auch der Thailandexperte und Historiker Paul Chambers. Aber: «Falls sich die Parlamentsabgeordneten bis am 9. Mai nicht auf einen Premierminister einigen können, dann wird die Armeejunta an der Macht bleiben. So sagt es die neue Verfassung. Dann gäbe es wohl erst in einem Jahr wieder Neuwahlen.»
Wenige Tage vor den Wahlen beschwören die Generäle, dass nur sie die Sicherheit und Stabilität im Land bewahren können. Sie hoffen, mit diesen Wahlen ihre Macht zu legitimieren, die Militärdiktatur in eine Demokratie zu verwandeln und so nach den Wahlen wieder mehr ausländische Investitionen ins Land zu holen. Ihre Gegner sagen: fünf Jahre Militärdiktatur sind genug!
Eines ist klar: mit Demokratie und Chancengleichheit haben die anstehenden Wahlen in Thailand wenig zu tun.