Danielle ist zehn Jahre alt, wenn man sie fragt, was sie mit 100 Pfund kaufen würde, nennt nicht etwa Spielsachen, sondern sagt: «Essen und Kleider».
Danielle ist eines von vier Millionen britischen Kindern, die in Armut aufwachsen. Der Lockdown hat sie besonders stark getroffen. Eine Untersuchung der britischen Hilfsorganisation Buttle UK kommt zum Schluss, dass fast die Hälfte der armen Familien während des Lockdowns Probleme hatte, genügend Essen auf den Tisch zu bringen.
«Ich habe manchmal nichts gegessen»
Das spürte auch Jean Cameron, die Grossmutter von Danielle: «Für die Kinder hat's immer gereicht, aber ich habe manchmal nichts gegessen.» Die Grossmutter erzieht Danielle und ihre Brüder, denn die Eltern sind drogenabhängig. Weil das Sozialhilfegeld nicht reicht, geht sie regelmässig zu einer Foodbank, dort wird kostenlos Essen abgegeben. Während des Lockdowns waren die Foodbanks aber geschlossen und das führte bei Cameron, wie bei so vielen anderen auch, zu Engpässen.
Die Schule als sicherer Ort
Wenn nicht klar ist, wie Nahrungsmittel und Rechnungen bezahlt werden sollen, ist das belastend für die ganze Familie. Buttle UK schätzt, dass drei Viertel aller bedürftigen Kinder seit der Pandemie mehr Stress, Gewalt oder Vernachlässigung erlebt haben.
«Die Schulschliessungen waren problematisch, denn die Schule ist für einige einfach ein sicherer Ort, fernab vom Streit und dem Stress zu Hause», erklärt der Lehrer Zane Powles aus der englischen Stadt Grimbsy.
Lehrer bringt Essen statt Hausaufgaben
Als der Lockdown anfing, hat Powles sofort reagiert. Die kostenlosen Mittagessen, welche die Kinder in der Schule einnehmen, hat er kurzerhand verpackt und zu Fuss vorbeigebracht. Rund 80 Lunches waren es täglich. «So konnte ich zudem mit den Familien reden und überprüfen, ob die Kinder sicher waren.» Einige Familien hätten kaum Möbel im Haus gehabt, bei anderen waren die Gewaltausbrüche nicht mehr tragbar. Was er sah, berührte den Lehrer so stark, dass er auch während der Sommerferien Geld für die Kinder von Grimbsy sammelte.
Die ärmsten Kinder trifft es doppelt
Längst nicht alle bedürftigen Minderjährigen im Land hatten eine zusätzliche Unterstützung. Joseph Howes von Buttle UK befürchtet, dass diese Kinder nun noch zusätzliche Erschwernisse haben: «Genau jene, die durch den Stress zu Hause beim Lernen sowieso schon mehr Mühe haben, trifft die Pandemie zusätzlich.» Bei wohlhabenderen Familien gab es Laptops, Internetanschluss, Möglichkeiten für Fernunterricht. All das fehlt vielen ärmeren. Howes erklärt die Folgen davon: «Diese Kinder könnten schulisch zurückfallen. Sie haben nicht die gleichen Chancen wie andere.»
Schule gibt Tagesstruktur
Jean Cameron kümmert sich liebevoll um ihre Enkel und hat sich bemüht, mit ihnen die Hausaufgaben zu machen. Doch nicht immer hatte sie die Energie dafür: «Ich habe ihnen manchmal stattdessen gezeigt, wie man kocht oder wäscht.» Cameron hofft, dass die Schulen bei einer zweiten Welle nicht mehr so rasch geschlossen werden: «Die Schule gibt den Kindern eine wichtige Tagesstruktur, sie bewegen sich mehr und sehen Freunde.»
Die Pandemie und insbesondere der Lockdown haben ein Schlaglicht auf das Ausmass von Kinderarmut geworfen, aber auch auf die Bedeutung des Unterrichts für das Wohlbefinden der Kinder.