Mitte August entdeckten Gesundheitsbehörden im Gazastreifen den ersten Fall von Kinderlähmung seit 25 Jahren: Ein 10-Monate alter Junge hatte sich mit dem Polio-Virus infiziert und war deshalb teilweise gelähmt.
Seit einigen Tagen nun führt die WHO eine Impfkampagne im Gazastreifen durch. Diese verlaufe viel erfolgreicher als erwartet, liess die WHO am Dienstag verlauten. Ein Virus schafft, was monatelange Verhandlungen nicht geschafft haben: Plötzlich raufen sich die Kriegsparteien zusammen und lassen die Waffen ruhen. Zwar nur kurz, und lokal sehr begrenzt, aber immerhin.
Nur dank dieser Feuerpausen sei die Impfkampagne im Gazastreifen überhaupt möglich, sagt Hamid Jafari. Er ist Direktor des Polio-Ausmerzungs Programms der WHO im östlichen Mittelmeerraum mit Sitz in der jordanischen Hauptstadt Amman. «Bis jetzt haben sich die Kriegsparteien an die vereinbarten Feuerpausen gehalten. Damit steigt das Vertrauen beim medizinischen Personal und bei den Eltern, dass sie sich ohne Angst vor Heckenschützen, Bomben und Evakuationsbefehlen in ein Impfzentrum begeben können.»
«Wollen nicht nur Kinder im Gazastreifen schützen»
Dass sich plötzlich alle an vereinbarte Feuerpausen halten, zeige die Dringlichkeit der Situation, sagt der renommierte Spezialist für Infektionskrankheiten. «Das Polio-Virus ist eine Gefahr für die ganze Welt. Wir wollen nicht nur die Kinder im Gazastreifen schützen, sondern die Ausbreitung des Virus nach Israel, Ägypten, und die umliegenden Länder verhindern.»
Von der Region würde das Virus rasch in die ganze Welt getragen: Jafari erinnert an frühere Polio-Fälle in London und New York. Um das Virus zu übertragen, muss man selbst gar keine Krankheitssymptome haben. Die ganze Region beteilige sich am diplomatischen und finanziellen Aufwand der Impfkampagne im Gazastreifen, so Jafari; allen voran Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien.
Die WHO wollte die Impfkampagne im gesamten Gazastreifen gleichzeitig durchführen. Dafür wäre eine umfassende Waffenruhe nötig gewesen. Weil das nicht möglich war, werde phasenweise geimpft: Das sei nicht ideal, weil die Menschen im Gazastreifen sehr häufig flüchten müssten, häufiger als in anderen Konflikten.
Damit sei es sehr schwierig, alle Kinder unter 10 Jahren zu erfassen, sagt Hamid Jafari. Trotz dieser Schwierigkeiten seien in Zentralgaza weit mehr Kinder geimpft worden als erwartet. Die WHO ging von 156'000 Kindern aus, geimpft wurden bis heute 187'000.
Menschen kommen in Scharen
«Die Bevölkerung in Gaza und überhaupt in den Palästinensergebieten ist sehr gut ausgebildet, und über Gesundheit und Impfungen informiert», so Jafari. Obwohl Eltern geschwächt seien vom Krieg, vom Mangel an Wasser und Lebensmitteln, liessen sie sich vom Impfaufruf mobilisieren. «Sie kamen in Scharen, organisierten untereinander Transportmöglichkeiten, sorgten dafür, dass andere Eltern informiert wurden.»
Nach Zentralgaza wird am Donnerstag im Süden des Gazastreifens geimpft. 340'000 Kinder will die WHO dort erreichen. Und schliesslich sollen noch die Kinder im Norden gegen Polio geimpft werden, wenn die Kriegsparteien die Feuerpausen weiterhin einhalten.