«Hören wir den Schrei der Kleinen» – mit diesem Worten hat Papst Franziskus heute den Kinderschutzgipfel eröffnet. Erstmals in der Geschichte treffen sich Bischöfe und Geistliche, um ausschliesslich über den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen zu sprechen.
Der deutsche Jesuitenpater Hans Zollner beschäftigt sich als Theologe und Psychologe seit Jahren mit dem Thema Missbrauch durch Geistliche und wird auch als Kinderschutzbeauftragter des Papstes bezeichnet.
Tausende Täter und Opfer
Wie gross das Problem des Kindsmissbrauchs in der römisch-katholischen Kirche ist, erklärt Zollner mit einer Zahl: «Aus Studien wissen wir, dass zwischen 1945 und 2015 im Durchschnitt drei bis vier Prozent der Priester missbraucht haben oder wegen Missbrauchs angeklagt wurden.»
Das sind weltweit Tausende Täter und entsprechend viele Opfer. Zollner vergleicht: «Aus den wenigen Vergleichszahlen mit anderen Berufsgruppen lässt sich erkennen, dass unter Schullehrern oder Sporttrainern oder anderen Leuten, die mit Jugendlichen in Kontakt sind, sich eine ähnliche Zahl von Verantwortlichen schuldig gemacht haben.»
Es gebe allerdings einen klaren Unterschied: «Ein Priester, der erstmals missbraucht, ist im Durchschnitt 39 Jahre alt und damit 15 Jahre älter als Täter aus Vergleichsgruppen.» Priester werden also vergleichsweise spät zu Tätern.
Zölibat schafft Probleme
Zollner zieht den Schluss, dass viele Priester die ersten zehn bis zwanzig Jahre der Ehelosigkeit, des Zölibats, gut meistern, dann aber Probleme bekommen: «Es geht wohl darum, die Lebensform des Priesters nach der Weihe genau zu betrachten. Wir müssen schauen, dass ältere Priester nicht in die Einsamkeit fallen oder nicht unter Arbeitsüberlastung so leiden, dass sie sich ein Ventil suchen. Zum Beispiel im Missbrauch von Minderjährigen.»
Wir müssen schauen, dass ältere Priester nicht in die Einsamkeit fallen.
Auch hier müsse die Kirche mit ihrer Prävention ansetzen, meint Zollner. Opferverbände aber kritisieren das und fordern, die Ehelosigkeit der römisch-katholischen Geistlichen grundsätzlich zu überdenken.
Doch Papst Franziskus hat erst vor kurzem bestätigt, dass er Verheirateten nur sehr begrenzt priesterliche Funktionen anvertrauen will. Das Thema Zölibat wird darum nicht im Fokus des Treffens stehen.
Unterschiede bei Aufklärung und Prävention
Die römisch-katholische Kirche stehe beim Kinderschutz nicht erst am Anfang, betont Zollner: «Ich denke, dass wir in einigen Gegenden der Welt weit fortgeschritten sind und dass es in anderen noch sehr viel bedarf, dass man überhaupt über das Thema sprechen kann.»
Zollner nennt keine Länder. Doch es ist klar, dass sich etwa die römisch-katholischen Kirchen der USA, Deutschlands oder auch der Schweiz durch Skandale stark verändert haben. Es wurde viel in die Prävention investiert.
Dieses Wissen soll an jene Länder weitergegeben werden, in denen das Thema noch immer ein Tabu ist. Kritiker sagen, dass auch Argentinien als Heimat des Papstes bisher zu wenig unternommen habe. Franziskus selber habe das Thema lange unterschätzt.
Der Papst hat sich auf diesen Lernprozess eingelassen.
Ja, sagt Zollner, doch der Papst habe die Kritik nun aufgenommen: «Das Schöne am Papst ist, dass er zugibt, wenn er einen Fehler gemacht hat oder einen Lernprozess nötig hatte. Er hat sich auf diesen Lernprozess eingelassen.» Franziskus wird am Sonntag das Treffen mit einer Rede beschliessen.