Weder Santa Maria noch Sankt Martin und schon gar nicht Sankt Peter. Die protestantische Kirche heisst ganz nüchtern nach ihrer Adresse: Kirche an der Piazza Cavour.
Kein Zufall, sagt Pfarrer Marco Fornerone, denn hier werden keine Heiligen verehrt. «Wir glauben nur das, was in der Bibel steht und dort ist eben von Heiligenverehrung keine Rede», sagt der Pfarrer der Waldenser. Die Waldenser hatten sich schon gut 300 Jahre vor Luther und Calvin vom katholischen Glauben abgesetzt, gelten also als Vorläufer der Protestanten, zu denen sie sich heute aber zählen.
Tausend unter Millionen
Rund 100 Gläubige sind an diesem Adventssonntag zum Gottesdienst gekommen. Keine Selbstverständlichkeit. Denn während Jahrhunderten wurden Protestanten in Rom und in ganz Italien verfolgt, sogar umgebracht. Nur in abgelegenen Tälern des Piemonts waren sie geduldet.
Aus diesen Tälern kamen dann auch die ersten Protestanten nach Rom, vor etwa 200 Jahren. Heute aber seien es Römerinnen und Römer, die neu zu ihnen stossen, sagt der Pfarrer. Es seien Leute, die sich von der katholischen Kirche abgewandt oder bisher keiner Kirche angehört hatten.
Italiener wissen mehr über Juden und Muslime als über Protestanten.
Viele sind es nicht: Rund 800 Waldenser leben in Rom, zu ihnen gesellen sich ein paar hundert deutsche und angelsächsische Protestanten. Knapp 2000 protestantische Seelen unter drei Millionen Katholiken. Eine unbekannte, vielen gar rätselhafte Minderheit: «Italiener wissen mehr über Juden und Muslime als über Protestanten», sagt Fornerone. Manchmal müsse er gar erklären, dass auch sie an Gott glaubten.
Dialog nach langer Feindschaft
Nach langer Feindschaft stehen Katholiken und Protestanten heute im Dialog. Pfarrer Fornerone lobt ausdrücklich Franziskus. Als erster Papst überhaupt habe er ihre protestantische Bibel geküsst: «Nur ein Symbol, gewiss, aber eine wichtiges», sagt der Pfarrer im schwarzen Talar.
Kartoffelsalat, Weisswürste, Streuselkuchen, Bier ab Fass – und das mitten in Rom. Es ist der Weihnachts-Basar der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Kaffee aus Thermokrügen verrät definitiv, dass hier Deutsche am Werk sind, zum Beispiel Ursula Kirchmayer. Seit vielen Jahren lebt die Pfälzerin hier: «Gerade weil Rom eine so katholische Stadt ist, habe ich das Bedürfnis meinen Protestantismus zu leben und mich zu engagieren».
Kirchmayer engagiert sich im Kleinen, an der Kasse des Bazars, und im Grossen, als Mitglied des Kirchenparlaments, in dem alle Evangelisch-Lutherischen Gemeinden Italiens vertreten sind: «Ich vermisse die Geistesfreiheit, dass man seinen Glauben frei leben kann, ohne eine Doktrin.» Diese besagt etwa, dass Katholiken und Protestanten das Abendmahl nicht oder nur ausnahmsweise gemeinsam feiern. Kirchmayer bedauert das, denn ihr Mann ist Italiener und Katholik.
Keine Nachteile für Nicht-Katholiken
Fühlt sie sich in der katholischsten Stadt des Erdkreises benachteiligt? «Nur einmal», sagt die Apothekerin. Vor Jahren dachte sie kurz daran, sich bei der grössten Apotheke Roms, jener des Vatikans, zu bewerben, liess es dann aber bleiben: «Da war es ganz eindeutig ein Nachteil, als Protestantin hätte ich dort nicht arbeiten können.»
Unterschiede aber gibt es. In Rom nennt man das, was unkatholisch ist, «acattolico», etwa den protestantischen Friedhof. Lange durften hier nämlich nicht einmal die Toten beider Konfessionen beisammen liegen, jeder ruhte für sich. Diese Doktrin aber ist gefallen.