Ein König ist ein König und nie krank. Und schon gar kein Stotterer. Der Grossvater von König Charles III., König George der VI., kämpfte lebenslang mit dem Handicap – darum hielt er in der Regel keine Reden.
Die damalige Sicht war klar: Der König muss perfekt sein. Doch nach dem Überfall Hitlers auf Polen liess sich eine Rede nicht mehr vermeiden. Mit viel Training schaffte es George, eine eindrucksvolle und berührende Rede zu halten, übertragen in die halbe Welt. Die Story wurde verfilmt – «The King’s Speech».
Schwäche wird öffentlich – ein Novum
Gegen aussen also die totale Perfektion – Schwäche ist im royalen Konzept nicht vorgesehen. Viele Politikerinnen und Politiker handelten so – unvergessen der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck, der im Amt einen Schlaganfall erlitt – und sich drei Monate lang unbemerkt erholte und dann zurückkehrte. Oder US-Präsident John F. Kennedy, der wegen Osteoporose ein Korsett tragen musste – dies aber verheimlichte und sich gegen aussen immer dynamisch und kerngesund darstellte. Oder zuletzt der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin, der zu Jahresbeginn wegen Prostatakrebs im Spital lag – und nicht mal Präsident Biden darüber informierte.
Im Jahr 2024 ist offenbar alles anders. Der englische König gibt seine Krebserkrankung öffentlich bekannt – auch, dass sie im Zuge einer Prostata-Untersuchung erkannt wurde. Es gab eine offizielle Mitteilung des Königshauses – als ginge es um eine geplante Auslandsreise des Monarchen.
Keine Gerüchte, keine Show
Doch was steckt dahinter? Offenbar ist es dem Palast klar: Es lässt sich in der heutigen Social-Media-Gesellschaft nichts mehr geheim halten. Gerüchte würden sich verbreiten, tagelang wären Heerscharen von Kommunikationsleuten damit beschäftigt, abzuwehren, abzuwiegeln, zu leugnen. Die Glaubwürdigkeit wäre mit jedem Satz weiter beschädigt. Bestes Beispiel war Charles’ Mutter, die Queen. Bei Elisabeth II. gab es keine medizinischen Bulletins, alles strengstens geheim. Kein Mensch glaubte, dass es der Queen gut geht. Aber Genaueres wusste man nicht – was auch die Anteilnahme schwieriger machte.
Ein König mit Krebs. Oder müsste man eher sagen: Der König ist ein Mensch und darum nicht gefeit vor menschlichen Unbilden wie Krebs, welche Millionen Menschen auf der Welt betreffen? Es ist wohl auch ein Zeichen der Zeit, dass Politikerinnen und Politiker – oder eben Königinnen und Könige – sich zuweilen auch menschlich geben, über Schwächen sprechen. Weil die Quasi-Unfehlbarkeit auch niemand mehr glaubt. Das Zeitalter der royalen Show ist vorbei.
Ein König aus Fleisch und Blut
Dass Charles vom König zum Menschen wird, zeigt auch die überwältigende Anteilnahme in Grossbritannien. Online werden die Newsartikel in schwindelerregender Zahl gelesen, die TV-Stationen senden quasi monothematisch. Das Königreich hält den Atem an. Bangt um seinen König, er ist mit dem Krebs-Geständnis einer der ihren geworden. Ein König aus Fleisch und Blut, dessen Leiden man bedauert, als sei er ein Mitglied der eigenen Familie.
Der König hat Krebs. Die Nachricht ist gleichsam eine Zeitenwende – und macht den König zum Bürger. Zu einem Bürger aber, vor dem das ganze Land grössten Respekt hat. Und ihn damit zum König macht.