Die Türkei will wieder ein Gasbohrschiff ins Mittelmeer schicken. Das dürfte Griechenland verärgern. Als die Türkei vor zwei Jahren ein solches Schiff losgeschickt hatte, war der Konflikt eskaliert. Es kollidierten gar zwei Kriegsschiffe. Warum die Türkei nun wieder provoziert, erläutert Journalist Thomas Seibert aus Istanbul.
SRF News: Weshalb schickt die Türkei wieder ein Bohrschiff ins Mittelmeer?
Thomas Seibert: Das reiht sich in eine ganze Reihe von Spannungsfeldern ein, die sich zwischen der Türkei und Griechenland auftun. Da geht es um Hoheitsgebiete in der Ägäis, da geht es um diese Gasvorkommen im Mittelmeer. Dieses Schiff soll nicht in der Nähe der Türkei nach Gas suchen, sondern in der Nähe von Kreta, einer griechischen Insel, die weit weg ist von der Türkei.
Was erhofft sich Erdogan von diesem Manöver?
Es geht hier um die türkische Innenpolitik. Erdogan steht vor schwierigen Wahlen im kommenden Jahr. Die Wirtschaft der Türkei liegt am Boden. Die Leute klagen über steigende Preise. Erdogan braucht aussenpolitische Erfolge. Es ist leider so, dass es in der Türkei für einen Politiker gewinnbringend ist, im nationalistischen Wählerspektrum auf Griechenland einzuschlagen.
Worum geht es in diesem Konflikt mit Griechenland konkret?
Im Grunde genommen treffen sich hier mehrere Konfliktfelder. Das eine sind die ungeklärten Hoheitsansprüche in der Ägäis. Das hat mit der Geschichte der beiden Länder nach dem Ersten Weltkrieg zu tun. Man weiss bis heute nicht genau, wo die Grenzlinie verläuft. Einige griechische Inseln liegen dicht am türkischen Festland. Da stellt sich die Frage, wie weit die jeweiligen Hoheitsgewässer reichen.
Es gab in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche, das am Verhandlungstisch zu klären. Aber sie haben nicht funktioniert. Dazu kommt der Zypern-Konflikt. Zypern ist in die griechische Republik und einen türkischen Teil der Insel geteilt. Die Türken leiten aus dieser Teilung Ansprüche der türkischen Zyprer ab, die sich auf die Hoheitsgewässer um Zypern auswirken.
Erdogan setzt auf innenpolitische Signale, um seine Wähler bei der Stange zu halten.
Vor zwei Jahren hat Ankara auch ein Bohrschiff in die umstrittenen Gebiete gesendet und da kam es zur Eskalation. Ist eine solche Eskalation nun wieder zu erwarten?
Es ist leider nicht auszuschliessen. Ich glaube nicht, dass es im Interesse der Türkei ist, diesen Konflikt bis zur militärischen Konfrontation hochzufahren. Erdogan setzt auf innenpolitische Signale, um seine Wähler bei der Stange zu halten.
Erst kürzlich haben wir beim Besuch der deutschen Aussenministerin in der Türkei gesehen, dass Deutschland inzwischen eine härtere Linie gegen die Türkei fährt.
Vor zwei Jahren lenkte die Türkei erst ein, als die EU Sanktionen androhte. Weshalb beeindruckt Erdogan dies nicht mehr?
Erstens ist Erdogans innenpolitische Lage im Moment schlechter als vor zwei Jahren. Zweitens gibt es inzwischen in im türkisch-europäischen Verhältnis weniger Persönlichkeiten, die sich in die Bresche werfen könnten. Erst kürzlich haben wir beim Besuch der deutschen Aussenministerin in der Türkei gesehen, dass Deutschland inzwischen eine härtere Linie gegen die Türkei fährt. Damals vermittelte noch Kanzlerin Merkel in diesem Streit. Sie ist nicht mehr da. Insofern gibt es wenige Mechanismen, die greifen könnten.
Erdogan ist bereits im Wahlkampfmodus für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Rechnen Sie damit, dass es weitere solche Manöver seinerseits gibt?
Damit muss man rechnen. Vor allen Dingen auch, weil es auch in Griechenland in den nächsten Monaten Wahlen geben wird. Spiegelbildlich ist es auch in Griechenland so, dass Spannungen mit der Türkei ein geeignetes Thema sind, um die Wählerschaft zu mobilisieren.
Das Gespräch führte Nina Gygax.