Wirklich überrascht war heute Nachmittag kaum jemand, als der Name des neuen schottischen Regierungschefs verkündet wurde. Humza Yousaf war der Favorit der Parteileitung. Der bisherige Gesundheitsminister steht für Kontinuität.
Er sei zwar eine andere Persönlichkeit als Nicola Sturgeon, aber ihren unermüdlichen Kampf für die Unabhängigkeit werde er ungebrochen weiterführen. Er glaube mit jeder Faser an die Unabhängigkeit Schottlands. «Diese muss baldmöglichst Realität werden.» Die Antwort, wie er diese genau erreichen will, blieb er jedoch bis heute weitgehend schuldig.
Kritik auch aus den eigenen Reihen
Seit gut zehn Jahren ist der 37-jährige Ökonom Mitglied der Regierung. Er war Transport-, Justiz- und Gesundheitsminister. Seine positive Selbsteinschätzung seiner bisherigen Leistungen deckt sich dabei nicht ganz mit derjenigen seiner politischen Gegnerinnen und Gegner. Die Fraktionschefin der schottischen Labour-Partei bezeichnet Yousaf als den schlechtesten Gesundheitsminister, der nun wohl der schlechteste First Minister werde.
Seine parteiinterne Konkurrentin, die Finanzministerin Kate Forbes, hat ihm im Wahlkampf vorgeworfen, in all seinen politischen Ämtern versagt zu haben. In seiner Zeit als Transportminister habe man auf Züge gewartet, als Justizminister habe er die Polizeireform verschlafen und sei heute verantwortlich für lange Wartelisten im Gesundheitswesen.
Stirnrunzeln auslösen, könnte seine Wahl allenfalls auch im Buckingham Palace. Humza Yousaf ist bekennender Republikaner und möchte die Monarchie in Schottland früher oder später ablösen.
Auf den Neuen warten viele Herausforderungen
Die Wahl wird nicht alle begeistern, aber eine Premiere ist sie auf jeden Fall. Erstmals in der Geschichte Schottlands wird ein Muslim und Vertreter einer ethnischen Minderheit Firstminister. Sein Vater ist aus Pakistan eingewandert und seine Mutter ist in Kenia zur Welt gekommen.
Gelobt werden seine Fähigkeiten als Kommunikator. Dieses Talent wird in den kommenden Wochen gefragt sein, wenn Yousaf das politische Erbe von Nicola Sturgeon übernimmt – nämlich eine zerstrittene und zerrüttete Partei. Viele reiben sich dabei die Augen. Seit der Ankündigung ihres Rücktritts scheint die Schottische Nationalpartei (SNP) vor dem Kollaps zu stehen. Ausgerechnet jene Partei, die für ihre Einigkeit gefürchtet und beneidet wurde, debattiert seit sechs Wochen nicht mehr über politische Inhalte, sondern führt auf offener Bühne einen Richtungskampf.
Mitten im Wahlkampf musste die Parteileitung zudem zugeben, dass die SNP in den vergangenen Jahren wohl gegen 50'000 Mitglieder verloren hat. Sturgeon hat die Partei von Wahlsieg zu Wahlsieg geführt und die Nation ebenso souverän durch die Pandemie. Hinter der erfolgreichen und dominanten Figur blieb offensichtlich weder Raum für Grundsatzdebatten noch eine geordnete Nachfolgeplanung.